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19. Januar 2018

Spiegel-Bericht "Tödlicher Staub"

SPIEGEL 01/2018, Bericht „Tödlicher Staub“ als PDF anschauen und downloaden

Leserbrief des ISTE an die Spiegel-Redaktion vom 15.1.2018:

Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie berichten in Ihrer ersten Ausgabe des neuen Jahres über Natursteinimporte aus Indien nach Deutschland, und in diesem Zusammenhang insbesondere über menschenunwürdige, gesundheitsgefährdende Produktionsbedingungen. Dafür gebührt Ihnen Dank.

Sie sprechen damit ein Problem an, das wir als Steine- und Erden-Industrie bereits seit langem erkannt und als Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE) auch immer wieder thematisiert haben.

Natursteinimporte aus Indien stellen in der Tat eine bedeutende Menge der in Deutschland zu den verschiedensten Zwecken verwendeten Menge dar. Es geht dabei nicht nur um Boden- oder Wandplatten, sondern etwa auch um Grabsteine. Ausschlaggebend scheint für die meisten Händler und Kunden der günstige Preis zu sein. Dafür nehmen sie dann auch zweifelhafte Produktionsbedingungen in Kauf. Am besten will man es gar nicht so genau wissen.

Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und auch Kinderarbeit sind dabei nicht nur ein indisches Problem. Viele aus Asien importierte Steinerzeugnisse entstehen unter unklaren Bedingungen. Auch Zertifizierungen geben nur begrenzt Auskunft und scheinen manchmal eher dazu zu dienen, potentiell schlechtes Gewissen auf Käuferseite zu beruhigen. Wir finden allerdings: Wenn man wirklich wissen will, woher der Stein der Wahl kommt und wie er gewonnen wurde, dann kann man es auch erfahren. Das gilt u.E. für Händler wie für Endkunden gleichermaßen.

Die Herkunft heimischer Gesteine ist klar und ihre Produktion entspricht den geltenden Gesetzen und Normen. Hinzu kommt der Aspekt des Transportes unter dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit. Eine Studie zur CO2-Bilanz von Naturwerksteinen der Hochschule für angewandte Wissenschaft Rottenburg a.N. hat bereits 2014 klar ergeben, dass neue Steine ein bis zu fünfzehn Mal höheres Treibhausgaspotential haben, wenn sie aus weit entfernten Weltgegenden importiert und nicht in Deutschland gewonnen werden.

Hierzu eine Bachalorarbeit zum Thema "CO2-Bilanz von neuem und wiederverwendetem Naturmauerstein" an der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg,

Auch dieses Thema ist also nicht neu. Und trotzdem scheint man es nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Während bei Lebensmitteln peinlichst auf Regionalität geachtet und damit auch geworben wird, scheint selbst bei ökologisch Orientierten die Klimabilanz beim Massenprodukt „Naturstein“ plötzlich keine Rolle mehr zu spielen. Bei Baustoffen macht man es sich offenbar bequem und importiert sie vom anderen Ende der Welt.

Ein besonders ärgerliches Beispiel bot die grün regierte Universitätsstadt Freiburg mit dem Ausbau des Platzes der Alten Synagoge, der vor wenigen Monaten der Öffentlichkeit übergeben wurde. Hier wurden 1000 Tonnen Basalt aus Vietnam als Pflaster verbaut. Eine Alternative aus Deutschland, Basaltlava aus der Eifel, hätte es durchaus gegeben. Der ISTE hat Oberbürgermeister Dr. Dieter Salomon und die im Freiburger Rathaus Verantwortlichen auch frühzeitig darauf aufmerksam gemacht; das Interesse von Seiten der Stadt war allerdings begrenzt, die Gegenargumente hatten etwas Fadenscheiniges. Man bekam den Eindruck, in der heutigen Architektur und in der aktuellen Stadtgestaltung spielen Nachhaltigkeitsaspekte nur dann eine Rolle, wenn sie gerade ins Konzept passen. Green City Freiburg? Bei diesem Beispiel sicher nicht!

Salomons Tübinger Amtskollege Boris Palmer – ebenfalls ein grüner Oberbürgermeister - hat die Qualität und die Nachhaltigkeit heimischer Rohstoffe deutlich besser verstanden. Die Tübinger hatten sich zu Beginn der Restaurierung ihres historischen Rathauses bereits für Elbsandstein aus Dresden entschieden, weil Architekten es so empfohlen hatten. Erst als der ISTE intervenierte und die Tübinger Stadtspitze informierte, dass der originale und früher verwendete Stubensandstein immer noch vor den Toren der Stadt liege und gewonnen werden könne, reagierte man. OB Palmer hat die Entscheidung sofort rückgängig gemacht und das heimische Material bestellt. Man hatte ihn zunächst nur nicht richtig beraten.

Die Frage stellt sich: Wie kann man ein Bewusstsein schaffen für soziale Gerechtigkeit, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und für angewandte Nachhaltigkeit, wenn es um so massenhaft verwendete Baumaterialien geht wie Steine in ihren verschiedensten Varianten?

Einerseits sicherlich durch Aufklärung. Den einen oder anderen privaten Endkunden – so er denn SPIEGEL-Leser ist – wird Ihr Bericht bestimmt nachdenklich gemacht haben – gut so!

Aber von Auftraggebern der öffentlichen Hand darf man wohl unabhängig von einer solchen Berichterstattung verlangen, dass sie für solche Themen sensibel sind und eine in Sonntagsreden gerne propagierte Vorbildfunktion auch erfüllen.

Vor diesem Hintergrund ist Freiburg ein ärgerlicher, aber wahrscheinlich nicht der einzige Fall, Tübingen hingegen ein erfreuliches Beispiel.
Wir bedanken uns nochmals für Ihren Bericht.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Beißwenger