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27. November 2018

Zwingend und dringend: Eine Strategie FÜR Rohstoffe

Rohstoffstrategie für Baden-Württemberg, Bürgerbeteiligungen, Natur auf Zeit oder FFH-Verordnungen sind Themen, die den Akteuren in der Steine- und Erdenindustrie unter den Nägeln brennen. Kein Wunder lockten genau diese herausfordernden Schlagwörter über 120 Teilnehmer jetzt ins Haus der Baustoffindustrie nach Ostfildern. Hier veranstaltete der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg e. V. (ISTE) zusammen mit der Rechtsanwaltskanzlei Dolde Mayen und Partner (Stuttgart) und der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Bergbau- und Mineralgewinnungsbetriebe e.V. (ABBM) das 21. Steine- und Erdenseminar. Dabei führten Prof. Dr. Klaus-Peter Dolde (Rechtsanwaltskanzlei Dolde Mayen und Partner, Stuttgart) und Thomas Beißwenger, ISTE-Hauptgeschäftsführer, durch den Tag.

Rohstoffstrategie für Baden-Württemberg von großer Bedeutung
„Trotz ausgefeilter Anträge werden Genehmigungen von bestimmten Vorhaben nur unter dem Damoklesschwert der Anfechtung erteilt. Gerade kleinere Familienbetriebe geraten hier allmählich an die Grenzen ihrer Möglichkeiten“ machte Dr. Christoph Heim, der stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Bergbau- und Mineralgewinnungsbetriebe e.V. (ABBM) in seiner Begrüßung deutlich. „Die Politik in unserem Land ist dafür verantwortlich, dass die Rahmenbedingungen ausgewogen sind und ein rechtssicheres Wirtschaften möglich ist“, so Dr. Christoph Heim. Hier ist die in Arbeit befindliche Rohstoffstrategie für Baden-Württemberg von großer Bedeutung.

„Die Rohstoffstrategie muss deutlich machen, dass Rohstoffsicherung  und -gewinnung kein Selbstzweck, sondern eine gemeinschaftliche Aufgabe ist“, stellte Oliver Mohr, der Vorsitzende des Umwelt- und Rohstoffausschusses des Industrieverbandes Steine und Erden Baden-Württemberg e.V., fest.

ISTE und NABU im Duett
In die in Arbeit befindliche Rohstoffstrategie des Landes Baden-Württemberg wurden auch die Vorschläge des NABU und des ISTE eingebracht, die von Johannes Enssle, dem Vorsitzenden des NABU-Landesverbandes Baden-Württemberg e.V. und Thomas Beißwenger „im Duett“ vorgetragen wurden. Beide Verbände nennen als eines ihrer erklärten Ziele, das Land dafür zu gewinnen, eine Rohstoffstrategie für Baden-Württemberg zu erarbeiten, die ökologischen, sozialen und ökonomischen Erfordernissen Rechnung trägt. Mehr Biodiversität während des Abbaus und im Rahmen der Rekultivierung zu schaffen gilt ebenso als Ziel wie die Dezentralität der über das ganze Land verteilten Abbaustätten zu erhalten. Als weitere Ziele nannten Beißwenger und Enssle die Rohstoffsicherung im Sinne der Nachhaltigkeitsziele zu verbessern und die Probleme mit dem statischen Artenschutz in den Pionierlebensräumen innerhalb von Abbaustätten zu lösen. Konkret sichtbar wird die Zusammenarbeit von Rohstoffwirtschaft und Naturschützern unter anderem in dem größten ganzjährigen Beweidungsprojekt Baden-Württembergs, in der Urzeitweide im Steinbruch Gerhausen. Taurusrinder und Konikpferde leben in offenen Übergangen von Wald und Feld.

Interessante empirische Studienergebnisse
Die Ergebnisse einer empirischen Studie zur sozialen Akzeptanz der Gewinnung mineralischer Rohstoffe stellte Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne vom Lehrstuhl Stadt- und Regionalentwicklung, Forschungsbereich Geographie an der Eberhard Karls Universität Tübingen vor. „Zentrales Thema bei unserer Untersuchung war die Landschaftsveränderung“, sagte Kühne. Hierbei wurden die Antworten der befragten „normalen Haushalte“ und die der Vertreter von Bürgerinitiativen miteinander verglichen und Handlungsempfehlungen entwickelt. Kühne schloss seinen Vortrag mit den Worten des Soziologen Ralf Dahrendorf: „Konflikte lösen geht in der Gesellschaft nicht – das hieße Ursachenbeseitigung.“

„Das Schlimmste ist die Turnhalle“
Wichtige Erkenntnisse im Umgang mit Bürgern bei Bauvorhaben in Baden-Württemberg offenbarte Ulrich Arndt, der seit 2012 bei der Stabstelle der Staatsrätin Gisela Erler für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung des Staatsministeriums Baden-Württemberg tätig ist und diese seit 2015 leitet. „Wir brauchen informelle Beteiligung, um die hidden agenda, die wahren Beweggründe der Menschen, zu erfahren. Mediative Ansätze helfen deshalb bei der Bürgerbeteiligung. Wenn wir nur rechtliche Vorgaben abfragen, beteiligen wir an den Bedürfnissen vorbei“, lautete eine seiner zentralen Aussagen. Eine gute Kommunikation ist nur durch eine frühe, dauerhafte und wertschätzende Öffentlichkeitsbeteiligung in Kleingruppen möglich. Sein Fazit lautete: Alle sollen an vielen Thementischen zu Wort kommen und nicht alle an einem Tisch mit allen Themen.

Bürger so früh wie möglich einbeziehen
Über die besten Reaktionsmöglichkeiten in Konfliktsituationen informierte Dr. Piet Sellke, Experte in der Planung und Umsetzung von Bürgerbeteiligungsverfahren, der unter anderem als Mediator bei Konflikten zwischen Firmen arbeitet. „Ernst nehmen und wertschätzen“ waren seine „Zauberworte“ ebenso wie „ein auf die Vor-Ort-Situation zugeschnittenes Design“ und „Je frühzeitiger der Einbezug, desto besser“. Seine Theorien untermauerte er an zwei konkreten Vorhaben der Steine- und Erdenindustrie in Baden-Württemberg.

Ökokonto-Verordnung mit Potential
Die am 1. April 2011 in Kraft getretene baden-württembergische Ökokonto-Verordnung wird derzeit durch externe Gutachter evaluiert, berichtete Anne Böhm von der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg. Auf einer Fläche von 600 Hektar wurden bis November 2018 rund 400 Einzelmaßnahmen genehmigt, rund 300 Maßnahmenkomplexe begonnen und damit rund 180 Millionen Ökopunkte gesammelt. „Die Ökokonto-Verordnung hat Potential, muss aber an einigen Stellen überarbeitet werden“, so Anne Böhm. Sie nannte hier die Klärung von fachlichen und rechtlichen Fragestellungen, die Erarbeitung von Vollzugshinweisen und die Weiterentwicklung der landesweiten Webanwendung.

„Lieber viel Natur auf Zeit als viel Zeit ohne Natur“
Steinbruch und Kiesgrube: Die zunächst deutlich sichtbaren Eingriffe in Natur und Landschaft können sich zu wertvollen Lebensräumen entwickeln. Zum aktuellen, unter anderem rechtlichen Rahmen, dieser „Natur auf Zeit“ referierte Manuel Sedlak, der Experte für Umweltrecht und Naturschutz beim Industrieverband Steine und Erden e.V. Mit Lösungsansätzen wie unter anderem Vorabausnahmen könnte ein Netz von zeitlich und räumlich neben- und nacheinander bestehenden „Natur-auf-Zeit-Flächen“ entstehen. Mit dem Satz: „Lieber viel Natur auf Zeit als viel Zeit ohne Natur“, beendete Manuel Sedlak seinen Vortrag.

Ziehen an einem Strang: Unternehmen und Laubfrösche
Über die vertragliche Lösung von „Natur auf Zeit“ in Bayern informierte André Fietkau vom Bayerischen Industrieverband Baustoffe, Steine und Erden e.V. (BIV). Als einen „Gewinn für den Amphibienschutz in Bayern“ bezeichnete der Referent den Vertragsnaturschutz in Bayern, der breite Unterstützung durch das bayerische Umweltministerium erfährt. „Es gibt keinen Widerspruch zwischen Wirtschaft und Umwelt“, schloss Fietkau seine Ausführungen.

Vier FFH-Verordnungen sind am Werden
Für die über 200 FFH-Gebiete beabsichtigt das Land eine Sammelverordnung je Regierungsbezirk für alle Gebiete zu erlassen, die Mitte Januar 2019 in Kraft treten soll. Entgegen der Beteuerungen des Ministeriums, sieht der Entwurf auch Erweiterungen der Gebietskulisse und einzelne Verschärfungen bei den Erhaltungszielen gegenüber den bisherigen Managementplänen vor. Lothar Benzel vom Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE) informierte auch, wie Rohstoffgewinnungsbetriebe konkret von den Sammelverordnungen betroffen sein können Dr. Winfried Porsch von der Kanzlei Dolde Mayen und Partner ergänzte das Thema zu Fragen des Rechtsschutzes.

Standardisierungen im Naturschutz: Technische Anleitung Artenschutz nötig
Zum aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts berichtete Prof. Dr. Klaus-Peter Dolde. Stößt die gerichtliche Kontrolle nach weitestmöglicher Aufklärung an die Grenze des Erkenntnisstandes naturschutzfachlicher Wissenschaft und Praxis, zwingt das Grundgesetz das Gericht nicht zu weiteren Ermittlungen, sondern erlaubt ihm, seiner Entscheidung insoweit die plausible Einschätzung der Behörde zu der fachlichen Frage zugrunde zu legen. Diese Einschränkung der Kontrolle folgt hier - anders als bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe - nicht aus einer der Verwaltung eingeräumten Einschätzungsprärogative und bedarf nicht eigens gesetzlicher Ermächtigung. Auf dieser Grundlage hat das Bundesverfassungsgericht mit am 23.11.2018 veröffentlichtem Beschluss zwei Verfassungsbeschwerden von Windkraftunternehmen als unzulässig verworfen. Dabei wurde auch klargestellt, dass der Gesetzgeber in grundrechtsrelevanten Bereichen Verwaltung und Gerichten nicht ohne weitere Maßgaben auf Dauer Entscheidungen in einem fachwissenschaftlichen „Erkenntnisvakuum“ übertragen darf. Der Gesetzgeber muss daher zumindest für eine untergesetzliche Maßstabsbildung sorgen. Dies ist z.B. durch den Erlass normenkonkretisierender Verwaltungsvorschriften möglich, stellte Prof. Dr. Dolde fest.

Petitionen – eine weitere Hürde im Genehmigungsprozess?
Dr. Winfried Porsch führte in die Grundlagen des Petitionsrechts ein. Dabei ging er insbesondere auf den Schutzbereich des Petitionsrechts und die Vorgehensweise des Landtages im Umgang mit Petitionen ein. Das sogenannte „Stillhalteabkommen“ zwischen Landtag und Regierung stellt bei den erläuterten Beispielen ein unzulässiges Abkommen zu Lasten eines unbeteiligten Vierten, nämlich des Vorhabenträgers dar. Die Berufung auf dieses Abkommen greift in rechtswidriger Art und Weise in die Rechte des Vorhabenträgers ein. Es ist rechtswidrig, ein Verwaltungsverfahren unter Berufung auf das Stillhalteabkommen zu verzögern. Auch zu den Rechtsschutzmöglichkeiten der Unternehmen gegen Maßnahmen des Petitionsausschusses und ggf. in Folge der Genehmigungsbehörden führte Dr. Porsch aus und hinterlegte dies anhand der Rechtsprechung in Baden-Württemberg.