Naturstein in den Fokus rücken
Naturwerkstein ist ein nachhaltiger Baustoff: Das bezeugen Kulturschätze wie das Ulmer Münster. Seit Jahrhunderten prägt es die baden-württembergische Stadt, und die Ulmer Münsterbauhütte sorgt zusammen mit Münsterbaumeisterin Dr. Heidi Vormann dafür, dass dieses wunderbare Bauwerk für die späteren Generationen erhalten bleibt. Bis in die Spitze eines Turms führte Hüttenmeister Andreas Böhm am 24. April 2023 die Teilnehmer: innen der Tagung »Zukunft Naturstein - natürlich, nachhaltig in Süddeutschland«. Die Führung war ein gelungener Auftakt für diese Veranstaltung. Die Fachleute interessierten sich vor allem für den Einsatz heimischer Natursteine an dieser großen Kirche und zeigten sich beeindruckt davon, wie engagiert die Ulmer Bürger ihr Münster unterstützen.
Veranstalter der länderübergreifenden Tagung waren der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg (ISTE), der Bayerische Industrieverband Baustoffe, Steine und Erden (BIV) in Kooperation mit dem Deutschen Naturwerkstein-Verband (DNV) und den GaLabau-Verbänden Baden-Württemberg und Bayern. Die erstmalig für den süddeutschen Raum konzipierte Veranstaltung gab einen Überblick über die Verwendung und die Ökobilanz der Naturwerksteine in Bayern und Baden-Württemberg. Praxisbeispiele veranschaulichten die gute Zusammenarbeit von Steinbruchbetreibern, Restauratoren und Geologen.
Topargumente für den Einsatz von Naturwerkstein
Albrecht Lauster, als Geschäftsführer der Firma Lauster Steinbau selbst Steinbruchbetreiber sowie Vorsitzender der Fachgruppe Naturwerkstein Baden-Württemberg, begrüßte die Teilnehmer und insbesondere Nicole Razavi MdL, Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg, und Staatsminister Christian Bernreiter vom Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr. Insgesamt trage die Baubranche erheblich zu den CO2-Emissionen bei, stellte Lauster fest. Im Gegensatz zu Werkstoffen wie Zement, Glas, Metall, Feinsteinzeug und Keramik sei regionaler Naturstein aber CO2-neutral und auch aufgrund seiner Dauerhaftigkeit ein unschlagbar nachhaltiges Produkt für CO2-neutrales Bauen. Kein anderer Werkstoff gewinne so wie Naturstein durch den Gebrauch und altere in Würde. Zudem sei er nach der Erstnutzung ohne Weiteres wiederverwendbar. Deshalb sei es ein Jammer, dass Naturstein viel zu selten als Baustoff in Erwägung gezogen und beworben werde. »Man redet in der Politik von Holz, von Lehm und von Recycling-Baustoffen, aber keiner spricht über unseren seit Tausenden von Jahren verwendeten Naturwerkstein, der heute mit modernsten Technologien verarbeitet wird und unseren Städten und deren Bauwerken ein einzigartiges, nachhaltiges und CO2-neutrales Fundament verschafft«, bedauern Albrecht Lauster und Thomas Herrscher, Geschäftsführer der Franken-Schotter Verwaltungsgesellschaft mbH und Vorsitzender der Fachgruppe Naturwerkstein Bayern.
Naturstein erlebt eine Renaissance
Nicole Razavi MdL zeigte sich sichtlich beeindruckt: Die Veranstalter hätten »etwas auf die Beine gestellt, was sich sehen lassen kann«, lobte sie. Naturstein sei als nachhaltiger Rohstoff ein wesentlicher Teil des baden-württembergischen Bauwesens und verdiene die Renaissance, die er derzeit erfahre. Nach Zeiten der Marginalisierung von Naturstein in der Architektur besinne man sich jetzt wieder auf dieses traditionelle Baumaterial, das an Schönheit und Nachhaltigkeit kaum zu überbieten sei. Wie ein Natursteinfels in der Brandung stehe das Ulmer Münster in der Stadt - »ein Kronzeuge für das Bauen mit Naturstein«, so die Ministerin, die massiv in die soziale Wohnraumförderung investiert und die Rohstoffgewinnung langfristig sichern will. Naturstein und andere natürliche Rohstoffe seien im Hinblick auf den Klimaschutz Schlüssel zum Erfolg. Naturstein gehöre zu Deutschlands Baukultur - gestern wie heute.
Über gleich drei Dombauhütten auf bayerischem Gebiet freut sich Staatsminister Christian Bernreiter, der in Passau, Regensburg und Bamberg beachtliche Steinmetzarbeiten bewundert. Diese handwerklichen Fertigkeiten und überliefertes Wissen gelte es zu pflegen und an kommende Generationen weiterzugeben. Die Kollegin habe ihm aus der Seele gesprochen. Auch er setze auf den engen Austausch mit der Bauwirtschaft und regionale Ressourcenschonung. Bernreiter dankte den Veranstaltern für die Einladung. Sie seien wichtige Partner.
Engagierte Denkmalpflege: Brüche neu erschließen
Nach den Grußworten aus der Politik stellte der Naturwerkstein-Experte Dr. Wolfgang Werner Naturwerksteine und Steinbrüche in Baden-Württemberg vor. Insbesondere präsentierte er Beispiele aus der aktuellen Baudenkmalpflege, bei denen baden-württembergische Natursteinsorten zum Einsatz kamen, teilweise aus neu geöffneten Brüchen. Naturstein ist für Dr. Werner ein identitätsstiftendes Material für den Städtebau, weshalb es notwendig sei, steinerne Kulturgüter sorgfältig zu pflegen und zu restaurieren, Letzteres am besten unter Einsatz des Originalmaterials. Welche Mühe die Suche nach solchem Originalgestein verursachen kann, zeigte der in Ebringen wohnhafte Experte ebenso wie die guten Restaurierungsergebnisse, die sich mit diesen Steinen erzielen lassen. So habe man am Ulmer Münster stark beschädigte Eisen- und STUBENSANDSTEINE durch TENNENBACHER BUNTSANDSTEIN, WALDENBUCHER SANDSTEIN und DOGGER-SANDSTEIN aus neu erschlossenen Brüchen ersetzt.
Geologen auf der Pirsch
»Die Wiederentdeckung historischer Naturwerksteine aus Bayern als nachhaltiger Baustoff (für die Zukunft)« lautete das Vortragsthema von Dr. Klaus Poschlod, Naturwerkstein-Geologe aus Türkenfeld. Wie Dr. Wolfgang Werner spricht er sich bei anstehenden Restaurierungen aus, bei erforderlichem Steinersatz möglichst auf das Originalgestein zurückzugreifen. So habe man sich an der Nördlinger St. Georgskirche darauf besonnen, wieder den originalen Suevit statt weißem Sandstein zu verwenden. Schwierig gestaltete sich die Suche nach ROSENHEIMER »Granitmarmor« für eine übergangsweise mit CIPOLLINO sanierte Treppe der Münchner Residenz. Im Rahmen eines von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projekts habe man über 100 Brüche befahren und davon 51 ausgewählt und in Steckbriefen dargestellt. Auch für Schloss Neuschwanstein habe man auf der Suche nach drei verschiedenen Sandsteinen aus dem Bayreuther Raum 17 Brüche beprobt, bevor man die für die Ausbesserungen geeigneten Gewinnungsstätten fand.
Der vergessene Baustoff
Ökobilanzstudien und eine neue Richtlinie für Pflaster- und Plattenbeläge waren die Themen von Reiner Krug, Geschäftsführer des mitveranstaltenden Deutschen Naturwerkstein-Verbands (DNV). Planungsgrundlagen für Pflaster- und Plattendecken seien die Verkehrsbelastung, die Nutzungsbedingungen, die Bauart (gebunden, ungebunden, gemischt), Entwässerungen, die Pflaster- und Plattenabmessung sowie der Untergrund und die Tragschicht, rief Krug in Erinnerung. Nachhaltiges Bauen erfordere »für alle Phasen des Lebenszyklus von Gebäuden - von der Erstellung bis zum Rückbau - eine Minimierung des Verbrauchs von Energie und Ressourcen. Naturstein, der nur regional transportiert wird, zeichne sich durch einen sehr geringen CO2-Ausstoß aus. »Es fehlen 700.000 Wohnungen«, bezifferte Krug den aktuellen Bedarf. Angesichts horrend hoher CO2-Emissionswerte sollte die Bauwirtschaft eigentlich alles daran setzen, auf nachhaltige Baustoffe zurückzugreifen. Naturstein sei mit seiner verbrieft hervorragenden Ökobilanz bestens dafür geeignet. Aber die Naturwerksteinbranche habe für die erforderliche Lobbyarbeit nicht annähernd die Mittel wie z.B. die Holz- oder Glasindustrie. Der DNV habe daher die Kampagne »zukunft.naturstein« ins Leben gerufen, die in den sozialen Medien bildstark und informativ für den »vergessenen Baustoff« wirbt.
Wissenswertes aus der Welt der Fassadenkonstruktionen ...
... steuerte Jonah Wurzer-Kinsler von der Firma Franken-Schotter bei. Anhand von Bildern und eines Modells stellte er das maßgeschneiderte Befestigungssystem »LINEA« vor. Das zum Patent angemeldete Fassadensystem dient der Gestaltung kleingliedriger, hinterlüfteter Natursteinfassaden. Mit der unsichtbaren Aluminium-Unterkonstruktion werden Natursteinplatten mit unterschiedlichen Formaten und diversen Farben und Oberflächen effizient montiert, so Wurzer-Kinsler. Die »LINEA«-Unterkonstruktion bestehe aus speziellen Vertikalprofilen und Klammern. »Die Vertikalprofile können auf eine Primär-Unterkonstruktion aus Aluminum, Stahl oder Holz montiert werden. Für ein passgenaues Fugenbild werden die Klammerpositionen mit CNC im Raster der Riemchen auf den Vertikalprofilen vorgebohrt«, erklärte er. Während der Produktion würden die Steine werkseitig auf der Rückseite zur Befestigungsaufnahme geschlitzt. Dabei würden je nach Wunsch identisch oder bewusst auf unterschiedliche Plattenstärken kalibriert, um ästhetische Effekte wie Schattenspiele zu erreichen.
Über die innerstädtische Gestaltung mit Naturwerkstein referierte außerdem Dipl.-Ing. Peter Wich von der Firma »TERRA.NOVA Landschaftsarchitektur«. Begeistert zeigten sich die versammelten Fachleute von der Planung der Fußgängerzone 2.0 in Ulm mit einem Plattenbelag aus Granit, dessen Oberfläche dem Ulmer Webstoff »Barchent« nachempfunden ist. Eine hervorragende Veranstaltung, findet die Naturstein-Redaktion.