Morgen-Spaziergänge durch Stuttgarter Naturstein-Kulisse
Es waren zwei ungewöhnliche Spaziergänge durch Stuttgarts Kulturmeile, zu welchen der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE) Landesparlamentarier und Medien eingeladen hatte. Gleich zu Beginn Ihres Arbeitstages hatten diese im März und im April die seltene Gelegenheit, die unmittelbare, durch ihre Natursteinfassaden das Stadtbild prägende architektonische Umgebung des Landtages und des Hauses der Abgeordneten einmal mit neuen Augen zu sehen – und zwar aus dem Blickwinkel eines Geologen, zweier Architekten und eines Herstellers von Naturwerksteinen. Das Alltägliche neu entdecken – darum ging es bei der „Morgenrunde mit Steinkunde“, zu welcher der ISTE nunmehr in unregelmäßigen Abständen einlädt. Gleichzeitig will der Verband damit alle heimischen mineralischen Rohstoffe ins Bewusstsein rücken.
Man sieht sie täglich, aber man beachtet sie nicht. Was für die architektonischen Schmuckstücke der Kulturmeile zu beiden Seiten der Konrad-Adenauer-Straße gilt, trifft wohl auch auf die allermeisten historischen und modernen Bauten zu. Vier Beispiele hatten sich die Referenten aus Wissenschaft, Baukunst und Industrie herausgepickt: das Haus der Abgeordneten, das Haus der Geschichte, die Musikhochschule und die Neue Staatsgalerie. Wer weiß schon, dass ihre Fassaden aus Cannstatter Travertin, Weiler oder Maulbronner Schilfsandstein und Crailsheimer Muschelkalk Geschichte und Geschichten aus der Vorzeit dessen erzählen, was heute Baden-Württemberg ist?
Insgesamt gebe es in Baden-Württemberg rund 86 verschiedene Gesteinssorten und viele von ihnen würden auch verbaut, wie Dr. Wolfgang Werner erläuterte, der Leiter des Referats Landesrohstoffgeologie am LGRB. Beim Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau in Freiburg hat man wohl den besten Überblick über die Bausteine des Landes. Er reicht von den etwa als Bord- oder Pflastersteine verbauten Gneisen mit ihrem Alter von 500 Millionen Jahren bis hin zum Cannstatter Travertin, der mit einem Alter von 100 000 Jahren als jüngstes an der Kulturmeile verwendetes Gestein vor allem die markante Fassade der Neuen Staatsgalerie prägt.
Architekt Manuel Schupp, geschäftsführender Gesellschaft des Büros ORANGE BLU und langjähriger Mitarbeiter des Stararchitekten James Sterling, des Vaters der Neuen Staatsgalerie, lüftete das Geheimnis ihrer unverwechselbaren Naturstein-Fassade. Die großen Travertin-Platten nämlich wurden sowohl in Längs- als auch in Querrichtung aus den Natursteinblöcken gesägt. Sterling wollte sich nicht für eine Art des Schnitts entscheiden, erzählte Schupp: „I like them all!“ Die Neue Staatsgalerie sei übrigens das jüngste Gebäude in Deutschland, das unter Denkmalschutz gestellt wurde. Geschichte und Geschichten, welche man Gebäuden und Gesteinen nicht ansieht, welche man sich erzählen lassen muss von Menschen, die sie kennen, weil sie sie erlebt haben. Beim zweiten Spaziergang begleitete und informierte die Gäste Stephan Gerstner, der ebenfalls der Geschäftsleitung von ORANGE BLU angehört.
Geschichte und Geschichten - dazu konnte auch Albrecht Lauster beitragen, der Chef der Lauster Steinbau GmbH und Lieferant der markanten Fassaden-Gesteine. Er habe erst gezögert, als er den Wunsch des britischen Architekten der Postmoderne vernahm: „Wir konnten uns nicht vorstellen, dass man diese völlig unterschiedlich gesägten Travertin-Platten mischen kann!“ Auch als langjähriger Hersteller von Naturwerksteinen habe er bei diesem Projekt an der Stuttgarter Kulturmeile dazugelernt.
Fast greifbar bei diesen „Morgenrunden mit Steinkunde“ war die gute Stimmung unter den Referenten und die Freude über so viele Informationen bei den Gästen. Zu ihnen zählten bei der ersten, auf nur wenige Teilnehmer begrenzten Tour die Abgeordneten Gabi Rolland, Dr. Albrecht Schütte, Christine Neumann und Dr. Wolfgang Gedeon. Auch Landtagsdirektor Berthold Frieß und Prof. Dr. Michael Goer vom Landesamt für Denkmalpflege waren mit von der Partie. Beim zweiten Spaziergang informierten sich die Abgeordneten Oliver Hildenbrand, Josha Frey, Andrea Schwarz, Raimund Haser und Klaus Dürr.
„Wir wollen mit diesem neuen Info-Format Verständnis und Wertschätzung schaffen für diesen wunderbaren Werkstoff ‚Naturwerksteine‘“, erläutert ISTE-Hauptgeschäftsführer Thomas Beißwenger. „Und wir wollen darüberhinaus ganz klare Botschaften senden: verbrauchernahe, dezentrale Produktion, kurze Transportwege und somit günstige Umweltbilanz – das sind die Vorteile aller heimischen Rohstoffe. Naturwerksteine sind nur ein Beispiel von vielen. Wer als Politiker Klimaschutz will, muss sich für heimische Rohstoffe entscheiden. Und wenn wir durch unsere Morgenspaziergänge zusätzlich Sympathien für unsere Industrie und die Menschen erzeugen, welche diese Steine abbauen und zu einzigartigen Baumaterialien aufbereiten, dann ist uns das auch recht.“