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24. Januar 2020

67. WITA der Steine- und Erden-Industrie

Querdenken, Vordenken, Umdenken… Drei Tage lang ging es bei der 67. Winterarbeitstagung der Steine- und Erden-Industrie um „Denken“ in seinen verschiedensten Facetten. Nach drei Jahren bot das Interalpen-Hotel Tyrol im frühlingshaften Telfs wieder die grandiose Kulisse für dieses jährliche „Gipfeltreffen“ der Branche. Was in diesem Jahr vor den Türen des zum Liebherr-Konzern gehörenden Hauses an Schnee fehlte, macht die Teilnehmerzahl dieser WITA wett: 256 Unternehmerinnen und Unternehmer, Politiker, Wissenschaftler, Verbandsvertreter und Partner der baden-württembergischen und der bayerischen Steine- und Erden-Industrie läuteten das neue Jahrzehnt vor den Toren Innsbrucks mit ihrer Fachtagung und ihrem variantenreichen Programm ein.

„Erst durch Ihr Zutun gewinnt die WITA an Gewicht und an Substanz!“ attestierte auch ISTE-Präsident Peter Röhm in seiner Begrüßung dem lauschenden Publikum. Sein bayerischer Amtskollege Georg Fetzer, neuer Präsident des Schwesterverbandes BIV, stimmte dem zu und freute sich: „Gut, dass die Südschiene lebt und funktioniert!“ In einem launigen Dialog tauschten sich die beiden Verbandschefs neckend über Vorzüge und Nachteile ihrer beiden Länder aus.
Röhm und Fetzer machten aber auch klar, dass es immer schwieriger werde, die vielbegehrten Rohstoffe auch zu gewinnen. Akzeptanzprobleme, eine überbordende Bürokratie und Mangel an bezahlbaren Grundstücken gehörten zu den gemeinsamen Problemen der Unternehmen. Nicht zuletzt deshalb gelte es immer wieder darauf hinzuweisen, dass mineralische Rohstoffe von jedermann gebraucht würden und unverzichtbar seien.

Hausherr Jan Liebherr hieß die Teilnehmer dieser WITA im Interalpen-Hotel willkommen und streifte die recht unterschiedlichen Geschäftssparten des immerhin schon 70 Jahre alten Konzerns.

Es ist Brauch, dass zur WITA auch prominente Politiker aus Bund und Ländern erscheinen und sich zu den neusten Entwicklungen äußern. In diesem Jahr konnte man den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Thomas Bareiß MdB, begrüßen. Er sprach über die aktuellen Herausforderungen der Rohstoff-Politik in Deutschland und forderte dazu auf, regional, national und europäisch zu denken. Dabei hielt Bareiß ein Plädoyer für den Mittelstand. Die Rohstoff-Branche sei unverzichtbar für die deutsche Wirtschaft, sagte er. Insbesondere heimische Rohstoffe seien wegen ihrer kurzen Transportwege klimafreundlicher als von weit her importierte Güter.
Der Unionspolitiker beklagte die mangelnde Akzeptanz von Rohstoffgewinnung in der Öffentlichkeit. Da müsse die Politik Farbe bekennen und handeln: „Wir brauchen einen Stimmungsumschwung!“ Er sprach sich klar gegen eine Rohstoff-Steuer aus, wie sie von verschiedenen Seiten gefordert wurde.

Ein flammendes Plädoyer für leichtere Firmengründungen hielt die Bundesvorsitzende der Vereinigung „Die Jungen Unternehmer“, Sarna Röser. An die Politik appellierte sie, Genehmigungsverfahren, Berichtspflichten und Bürokratie zu entschlacken. Sie beschäftigte sich engagiert mit der Frage, welche Herausforderungen die Chefinnen und Chefs mittelständischer Firmen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten meistern müssen. „Wir müssen schneller und mutiger werden und auch einmal Fehler machen dürfen!“ – so eine ihrer Botschaften.

Die Zukunft der Arbeitswelt war Thema von Prof. Dr. Jutta Rump. Die Leiterin des Instituts für Beschäftigung und Employability IBE in Ludwigshafen beschrieb und analysierte die wichtigsten Trends der kommenden Jahre; demografische Entwicklungen und Digitalisierung spielen ihr zufolge dabei entscheidende Rollen. Unternehmer müssten sich in Zukunft angesichts des sich abzeichnenden Personalmangels verstärkt fragen, was einen attraktiven Arbeitgeber ausmacht. Das werde viele Firmen vor ungewohnte Herausforderungen stellen. Man solle sich deshalb frühzeitig mit Blick auf die Mitarbeiter fragen: „Was macht die Digitalisierung mit den Menschen?“

Eine WITA ist auch ein Marktplatz der technischen Neuigkeiten. In diesem Jahr standen natürlich die Produkte des Hausherrn und Sponsors in Telfs im Mittelpunkt: Baumaschinen von Liebherr. Ein Dumper, ein Radlader und ein Fahrmischer bildeten vor den Toren des Interalpen-Hotels das steady display. Auf dem Firmengelände im Tal konnte sich jedermann von den Vorzügen der neuen Serien überzeugen. Und bei seinem Vortrag ging Werner Seifried, Geschäftsführer Technik und Entwicklung der Liebherr-Hydraulikbagger GmbH in Kirchdorf, der Frage nach, was Weltraumfahrzeuge und Baumaschinen gemeinsam haben.

Selbstverständlich ging es bei dieser WITA auch um das aktuelle gesellschaftliche Hauptthema: den Klimaschutz. Dazu präsentierten Ministerialdirektor Dr. Uwe Lahl aus dem baden-württembergischen Verkehrsministerium und Jürgen Thomann von der Schwenk Zement KG in Ulm die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie, welche sich mit der Frage beschäftigt, wie das bei der Zementproduktion anfallende CO2 genutzt werden kann zur Herstellung „grüner Kraftstoffe“ sogenannter „reFuels“. Die Techniken dafür seien bekannt, allerdings noch nicht in großem Maßstab vorhanden, so die beiden Referenten. Der Auto-, der Schiff- und auch der Luftverkehr ließen sich theoretisch so klimaneutral gestalten. reFuels seien mittel- und langfristig unverzichtbar, um den Ausstoß an Treibhausgasen zu reduzieren. CCU (Carbon Capture an Usage) sei dabei CCS (Carbon Capture an Storage) vorzuziehen.

Was können wir von der Natur lernen? Auch in Telfs stand diese Frage im Raum, mit Antworten aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Prof. Dr. Franz Brümmer, Forscher am Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme an der Universität Stuttgart, stellte neue Materialien und Ansätze aus der Bionik vor. Der Wissenschaftler und Taucher fand seine Beispiele in den Meeren dieser Welt. Eine beeindruckende Auswahl brachte er mit und ließ sie im Publikum herumgehen: Schwämme, Schnecken, Seeigel: “Unsere Bioniker sind begeistert von diesen Strukturen.“ Etwa vom Kofferfisch, der die Vorlage für ein besonders geräumiges und besonders leicht gebautes Fahrzeug gab. Oder von Kieselalgen, die Beispiele für extremen Leichtbau sind.
Claus-Peter Hutter, Präsident der Umweltstiftung NatureLife-International und Leiter der Akademie für Natur- und Umweltschutz in Stuttgart, forderte in seinem Zwischenruf „Umweltschutz mit und nicht gegen die Menschen“. Er unternahm mit seinen Zuhörern eine Reise durch heimische Gefilde, verharrte an alten Quittensträuchern und Streuobstwiesen, um zu fragen, wie diese Pflanzen uns Menschen über Generationen miteinander verbinden helfen. Nachdenken – auch über einen richtig verstandenen Naturschutz – hieß Hutters Anliegen.

Massivbau und Holzbau – Gegner oder Verbündete?
Heutiges und künftiges Bauen bildeten einen Schwerpunkt dieser Winterarbeitstagung. „Wie viele Wohnungen werden wir künftig wo bauen müssen? Mit welchen Baustoffen werden wir sie bauen?“ Diese Fragen gaben den Hintergrund für Fachvorträge und für eine angeregte und engagierte Diskussion.
Faktengrundlage mit Blick auf den Wohnbau bildeten die Referate von Matthias Günther vom Pestel-Institut in Hannover sowie von Steffen Klingler von der Beratungsgesellschaft KOP in Weinstadt. Günther blickte in eine von demographischen und sozialpolitischen Prognosen geprägte Zukunft, welche die hergebrachten Gewohnheiten durcheinanderbringen dürfte. Allein in Baden-Württemberg fehlen Günther zufolge 100.000 Wohnungen: „Der Markt wird es nicht richten! Da muss der Staat eingreifen.“
Steffen Klingler, Architekt und Städteplaner, zeigte an Projekten und Planungen, wie künftig Wohn- und Nichtwohngebäude aussehen könnten, die klimapositive Energiezellen und Energiespeicher sein können. Bauten der Zukunft müssten vernetzt und digital gesteuert Sektoren wie Mobilität, Heizen, Kühlen und Energieerzeugen verknüpfen. Dabei schlössen sich die Baustoffe Stein und Holz nicht aus, wenngleich Massivbauten bei der Speicherung von Energie Vorteile böten.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hielt ein „Plädoyer für Pflichtbewusstsein“. Aus seiner kommunalpolitischen Praxis stellte er Initiativen und Vorschriften aus der Universitätsstadt vor, die durchaus umstritten waren und sind. Dazu gehört auch die Verpflichtung, neue Bauten mit PV-Anlagen auszurüsten. Oder die von ihm angeregte Pflicht, in Tübingen zum Bauen freigegebene Grundstücke auch wirklich zu bebauen. Und schließlich eine von ihm initiierte Holzbaupflicht. Bauen in Holz habe eine bessere CO2-Bilanz als Massivbauten, so Palmer.
Stoff genug für eine Diskussion mit Vertretern der angesprochenen Baustoffbranchen. Josef Schlosser, Präsident Holzbau Baden-Württemberg, Ulrich Nolting vom Informationszentrum Beton und Dr. Hannes Zapf, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau erörterten durchaus kontrovers Vor- und Nachteile der jeweiligen Baustoffe und Bauweisen. Gelegenheit für viele Teilnehmer, sich an dem Gespräch aktiv zu beteiligen.
Trotz aller Differenzen kam man überein, dass die sozialen und klimatechnischen Herausforderungen der Zukunft im Wohnungsbau nur gemeinsam gelöst werden können – mit Holz und mineralischen Baustoffen.

In Telfs gab es in diesem Zusammenhang eine Art „Vorpremiere“: Erst im Februar soll das „Netzwerk zur Sicherung der Zukunft des Massivbaus“ offiziell in Anwesenheit der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin vorgestellt werden. Bei der WITA gab Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden- Württemberg e.V., jedoch schon einmal Einblicke in Hintergründe und Absichten dieses neuen Zusammenschlusses von Bau- und Baustoff-Industrie. „Solid Unit“ soll es heißen. Möller: „Wir haben nichts gegen den Holzbau, aber wir wollen auch nicht ausgegrenzt werden!“ Der Massivbau zeichne sich durch Innovation und Zukunftsfähigkeit aus. Senkung des Ressourcenverbrauchs, CO2-Einsparungen, Nutzung heimischer Rohstoffe zur Verringerung der Transporte und der damit verbundenen Emissionen, Erhöhung der Recyclingquote, kostengünstiges Bauen und städtebauliche Qualität – all das seien Themen, die das Netzwerk vermitteln wolle.

Tu‘ Gutes und rede darüber! Dieser Grundsatz der Öffentlichkeitsarbeit ließ sich auf ein ganz besonderes Projekt übertragen: Armin Ossola, Chef des gleichnamigen ISTE- und KIWI-Mitgliedsunternehmens und Ralf Biehl,Geschäftsführer der Erdgas Südwest GmbH, berichteten über das neue Kraftwerk - Deutschlands größte schwimmende Photovoltaikanlage. Seit dem vergangenen Jahr befindet sie sich auf dem Maiwaldsee bei Renchen. Ihre 2300 blauglänzenden Solarmudule vermeiden die Konkurrenz mit für Landwirtschaft oder Naturschutz genutzten Flächen. Die Anlage liefert Ossola inzwischen mehr als die Hälfte des von seinem Kieswerk benötigten Stroms – umwelt- und klimafreundlich. Sie erspart rechnerisch den Ausstoß von 560 to CO2 pro Jahr. Eine ökonomische und ökologische Erfolgsgeschichte. Insbesondere das große Medieninteresse habe ihn überrascht, so Ossola.

Passend zum Generalthema „Denken“ brachte Dr. Sven Körner von der thingsThinking GmbH in Karlsruhe den Teilnehmern künstliche Intelligenz näher und bemühte sich, diese zu entmystifizieren: „KI hat nichts mit Magie zu tun!“ Man müsse grundsätzlich keine Angst vor diesen technischen Entwicklungen haben, sondern solle sie mehr als Unterstützung verstehen: „Sie als Fachleute Ihrer Branche müssen entscheiden, wo KI einsetzbar ist!“ Körner plädierte vor den Unternehmerinnen und Unternehmern dafür, sich mit KI zu beschäftigen: „Deutschland darf den Anschluss nicht verlieren. Dass es uns hier so gut geht, ist kein Naturgesetz!“

Einen hardwareorientierten Blick in die nähere Zukunft warf Martin Friewald, Leiter des Stabes „Verbände / Organisation“ der Autobahn GmbH des Bundes. Ein Jahr vor dem Start des neuen, von Berlin aus gesteuerten Bundesunternehmens erläuterte er die Hintergründe seiner Entwicklung sowie dessen Ziele. Vom 1.1.2021 an würden 18.000 km Autobahn in Deutschland aus der Auftragsverwaltung der Länder genommen und voll in die Verantwortung des Bundes übergehen. Es werde zehn, an der Autobahndichte orientierte Niederlassungen über die Bundesrepublik verteilt geben mit 41 Außenstellen. 10.000 Mitarbeitern aus den Ländern würden dort gebraucht. Man erhoffe sich durch diese gravierende Umorganisation eine verbesserte Qualität der Straßen und der mit ihnen verbundenen Services. Von der Baustoffbranche und den Bauunternehmen wünsche man sich weiterhin gute Partnerschaften, so Friewald.

Zuletzt berichteten die ISTE Referenten Anne Kraus und Arne Hilt über die Aktivitäten der Öffentlichkeitsarbeit bzw. die Ausbildungskampagne. Beide Themen seien außerordentlich wichtig, betonte ISTE-Präsident Peter Röhm in seinem Schlusswort. Diese „bunte und variantenreiche WITA“ habe wieder einmal gezeigt, wie aufgeschlossen und aktiv die Branche sei. Diesen Schwung gelte es weiter zu nutzen.