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1. März 2019

Initiative der Kieswirtschaft am Oberrhein legt grandiosen Start hin

KIWI-Wirtschaftstag 2019:

EU-Kommissar Oettinger fordert eine „Vision 2050“ – Fachvorträge und Diskussionen

Es hätte nicht besser laufen können für KIWI: die Initiative „Kieswirtschaft im Dialog“ legte mit ihrem Wirtschaftstag 2019 im Europapark in Rust einen grandiosen Start hin. Weit über 200 Gäste aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft waren der Einladung zu der Fachtagung gefolgt, mit der sich die über 20 KIWI-Mitgliedsunternehmen der Öffentlichkeit vorstellen wollten. Der Ehrengast und Hauptredner, der deutsche EU-Kommissar Günther H. Oettinger, hielt ein flammendes Plädoyer für eine Europäische Union, welche auf die Herausforderungen des globalen Wettbewerbs antwortet und eine langfristige Vision ihrer gemeinsamen Ziele entwickelt. Fachvorträge und Diskussionen hatten die Gewinnung von Kies und Sand nicht nur am Oberrhein zum Inhalt.

Den Dialog suchen und miteinander reden – das hat sich „KIWI – Kieswirtschaft im Dialog“ vorgenommen. Der KIWI-Vorsitzende Thomas Peter und seine beiden Stellvertreter Michael Knobel und Michael Krieger freuten sich, dass so viele Gäste ihrer Einladung gefolgt waren – und das mitten in der Fasnachtszeit. Abgeordnete aus Bundestag und Landtag, Kommunal- und Regionalpolitiker, leitende Verwaltungsmitarbeiter und zahlreiche Unternehmerkollegen nutzten diese neue Kommunikationsplattform, um im gemeinsamen Gespräch ihre Positionen beim Thema Kies- und Sandgewinnung deutlich zu machen, sich gleichzeitig zu informieren und Gegenmeinungen zuzuhören.

Dialog und Kommunikation spielten auch im Vortrag von EU-Kommissar Günther H. Oettinger, zuständig für Haushalt und Personal, eine wichtige Rolle. Drei Wochen vor dem für Ende März angekündigten Austritt Großbritanniens und kurz vor den Europawahlen forderte er die EU-Mitgliedsstaaten zu mehr Gemeinsamkeit, Solidarität und Realismus auf. „Wir brauchen eine europäische Vision!“, sagte er mit Blick auf 2050. Die Gefahr, wirtschaftlich und geopolitisch von den USA und insbesondere von China abgehängt zu werden, sei sehr ernst zu nehmen. Die Europäische Gemeinschaft sei in erster Linie ein grandioses Friedensprojekt; daran müsse man immer wieder erinnern, betonte Oettinger: „Den Frieden zu sichern ist unsere Aufgabe der Gegenwart!“ Und Frieden zu exportieren sei die vornehmste Aufgabe der EU.

 „Wer die Vorzüge Europas minimiert und die Probleme maximiert, versündigt sich an unseren Kindern und Enkeln!“ Wer die Welt von morgen mitprägen wolle, brauche eine ausreichende Betriebsgröße. Deshalb müsse Europa vereint bleiben. Was den Brexit angehe, hoffe er immer noch auf eine vernünftige vertragliche Lösung. Anderenfalls hießen die Gewinner Trump und China. Und es sei ja auch nicht ausgeschlossen, dass Großbritannien irgendwann wieder der EU beitreten werden, weil die Vorteile überwiegen.

Oettinger zollte schließlich den anwesenden Unternehmern großen Respekt und lobte die wirtschaftlich wichtige Rolle des Mittelstandes: „Was Sie in ihrer Branche machen und durch einen Verband wie den ISTE und eine Initiative wie KIWI vertreten lassen, ist von hoher Seriosität!“ KIWI als Dialogplattform sei ein ausgesprochen begrüßenswertes Projekt.

 Kies und Sand – unverzichtbar für unsere moderne Gesellschaft

Drei Fachvorträge beleuchteten den allgemeinen deutschen Rohstoffbedarf, insbesondere mit Blick auf Kies und Sand, sowie die Bedeutung von Gewinnungsstätten für die biologische Vielfalt. Vielen Gästen in Rust war nicht bewusst, dass jeder in Deutschland lebende Bürger 1 Kilogramm Steine, Kies und Sand verbraucht – pro Stunde! Allein in Baden-Württemberg liegt der jährliche Rohstoffbedarf an heimischen mineralischen Rohstoffen bei ca. 100 Mio. Tonnen. Kiese und Sande machen davon 40 Mio. Tonnen aus. Benötigt werden sie im Hoch- und Tiefbau, aber auch zur Herstellung von Glas und Keramik, Kosmetika, Reinigungsmittel oder Farben. 

Seit wenigen Jahren berichten Medien über eine angebliche Sandknappheit. „Sand – auch in Deutschland bald knapp?“ frug in ihrem Vortrag Dr. Hildegard Wilken, wissenschaftliche Direktorin bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und Leiterin des Fachbereichs „Geologie der mineralischen Rohstoffe“. Ihre Antwort: Deutschland habe kein geologisches Sandproblem. Regionale Engpässe lägen vielmehr an der Nutzungskonkurrenz der zur Verfügung stehenden Flächen. Allein in Baden-Württemberg kämen 85 Prozent der Landesfläche für einen Abbau nicht in Frage, weil sie entweder überbaut, anderweitig genutzt oder naturschutzrechtlich geschützt seien. Regionale Verknappung und damit einhergehende Verteuerung von Sand seien oftmals auch begründet in langwierigen Genehmigungsverfahren.

Thomas Beißwenger, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE), brach eine Lanze für dezentralen, über das ganze Landesgebiet verteilten Rohstoffabbau. Nur so ließen sich kurze, klimafreundliche Transportwege und akzeptable Preise gewährleisten. Immerhin schaffe man es, 70 Prozent der in Baden-Württemberg benötigten Rohstoffe aus dem eigenen Land zu gewinnen. Importieren müsse das Land lediglich Energie- und Metallrohstoffe. Das sei auch gut so, denn der Bedarf an mineralischen Rohstoffen sei unverändert oder steige sogar noch. Allerdings nehme die Zahl der Gewinnungsstätten ab. Es sei paradox: Die Gesellschaft frage immer mehr Kies und Sand nach, und gleichzeitig gebe es ein „massives Kiesgrubensterben“. Das sei „intolerabel“. Schließlich schaffe die Rohstoffe gewinnende Industrie diesen Bedarf nicht – sie befriedige ihn lediglich.

Der Landschaftsplaner und Gewässerspezialist Dr. Werner Spang schließlich klärte über die engen Zusammenhänge zwischen Abbautätigkeiten und Artenvielfalt auf. Baggerseen etwa seien wegen ihrer Nährstoffarmut seltene und wertvolle Lebensräume. Eine Vielzahl von bedrohten Pflanzen und Tieren fände hier Zuflucht – Orte des Überlebens, die in unserer sonst intensiv genutzten und bewirtschafteten Landschaft nicht mehr existierten. Das sei während der Rohstoffgewinnung und im Anschluss an sie gleichermaßen der Fall. Ein Plädoyer für ein friedliches Miteinander und eine Zusammenarbeit zwischen Rohstoffwirtschaft und Naturschutz…

Rohstoff-Debatte mit kritischen und versöhnlichen Untertönen

Eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Abbauwahn – Artenschutz – Bürgerwut? – Immer diese Kieser“ mit Fachleuten aus Politik, Verwaltung, Naturschutz und Unternehmen rundete den KIWI-Wirtschaftstag ab.

Aus Stuttgart war die Vorsitzende des Petitionsausschusses im Landtag, Beate Böhlen MdL, nach Rust gekommen. Sie wies auf die gesellschaftlichen Veränderungen in den vergangenen Jahren hin und darauf, dass viel mehr Bürger als früher ihre Partikularinteressen vernehmlich äußerten, wenn es um Erweiterungen von Gewinnungsstätten oder gar um Neuaufschlüsse gehe. Ängste hätten zugenommen und Besitzstände würden engagiert verteidigt. Man müsse aber zwischen gesellschaftlich und persönlich motivierten Einsprüchen unterscheiden, so die Grünen-Politikerin.

Dr. Gerhard Bronner, Vorsitzender des Landesnaturschutzverbandes (LNV), nannte die Gewinnung von Kies, Sand und Gesteinen gesellschaftlich notwendig, wenngleich man auch fragen müsse, ob die Abbaumengen nicht zu hoch und die Materialpreise nicht zu niedrig seien. Er räumte ein, dass die Natur während und nach der Gewinnung von Rohstoffen durchaus profitieren könne von den Magerflächen, wie sie in Kiesgruben und Baggerseen entstünden. Die Initiative KIWI als Plattform für weitere gemeinsame Gespräche begrüßte Bronner ausdrücklich.

Dr. Johannes Dreier, Abteilungspräsident im Regierungspräsidium Freiburg, plädierte beim Kies- und Sandabbau für mehr Flächeneffizienz. Bei Kiesmächtigkeiten bis zu 140 m solle man sich verstärkt bemühen, in größere Tiefen vorzudringen. Das könne weitere Inanspruchnahme von Flächen am Oberrhein reduzieren.

Für eine Kiesförderung aus größeren Tiefen sprach sich auch der ehemalige Verwaltungsdirektor des Regionalverbandes Südlicher Oberrhein, Dr. Dieter Karlin, aus. Die Trias müsse lauten: Tiefe – Fläche – Neuaufschluß. Allerdings stünden der Tiefenförderung derzeit noch geologische und technischer Hindernisse im Wege. Die über Jahrzehnte in Baggerseen zurückgeführten Waschschlämme hätte sich zu manchmal über 20 m mächtigen harten Sedimenten verbacken, die es zu durchdringen gölte. Dr. Karlin regte mit Blick auf die anwesenden Landtagsabgeordneten an, hier ein Forschungsprogramm aufzulegen, an dem sich auch die Landesregierung beteiligt.

Dr. Rolf Mohr, Kiesunternehmer aus Immenstaad und Ehrenpräsident des ISTE, plädierte für eine mutige, notfalls auch gesetzlich geregelte Rohstoffsicherung. Der Rohstoffbedarf werde schließlich nicht von der Gewinnungsindustrie gemacht – sie befriedige nur die gesellschaftlich gewollte Nachfrage. Partikularinteressen dürften nicht gegenüber der für die Allgemeinheit nötigen Förderung von Kies und Sand obsiegen. Dies zu kommunizieren sei insbesondere auch Aufgabe von Kommunalpolitik.

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass durchaus Sympathie besteht unter Kommunalpolitikern für eine umwelt- und landschaftsverträgliche Rohstoffgewinnung. Die neue, von KIWI geschaffenen Dialogplattform sei geeignet, durch Information und Aufklärung Bürger von der Bedeutung heimischer mineralischer Rohstoffe wie Kies und Sand zu überzeugen.

Das begrüßten der KIWI-Vorsitzende Thomas Peter und seine beiden Stellvertreter Michael Knobel und Michael Krieger ausdrücklich. Peter: „Kies und Sand – wer braucht denn so was? Wir alle! Das hat dieser KIWI-Wirtschaftstag bestens verdeutlicht!“ Die drei freuten sich über eine interessante Debatte und einen funktionierenden Dialog mit kritischen und mit versöhnlichen Untertönen sowie über eine rundherum gelungene Tagung, die nicht nur neue Kontakte, sondern vielleicht auch neues Vertrauen schafft.