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14. Januar 2024

Die Zukunft des Bauens mit Beton – Einblicke und Hintergründe auf der 70. Winterarbeitstagung

Der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE) und der Bayerische Industrieverband Steine und Erden e.V. (BIV) baten Mitte Januar zur 70. Winterarbeitstagung (WITA) nach Telfs/Tirol. Die Veranstaltung lockte knapp 200 Teilnehmende. Während der dreitätigen Arbeitstagung wurde deutlich: Hoffen und handeln liegen nah beieinander.

Dies konstatierte Oliver Mohr, Präsident des ISTE, in seiner Begrüßung beim Vorabendprogramm: Die Industrie hoffe, dass die Politik die notwendigen Voraussetzungen für die Dekarbonisierung der Industrie ermöglicht und handle, um zu zeigen, dass sie diese auch wirklich schafft. Beispiel hierfür seien die Speicherung und Nutzung von CO2 sowie die Kreislaufwirtschaft – Themen, die auch auf dem Programm der diesjährigen WITA standen.

Auf dem Weg zum klimaneutralen Beton
Den Weg zu klimaneutralem Beton und Industrie skizzierte Dr. Peter Boos, zuständig für die Entwicklung für Speicherung und Nutzung von CO2 (CSS und CCU) bei Heidelberg Materials in Ennigerloh bei seinem Vortrag. Er zeigte fünf Handlungsfelder auf, die für diesen Weg notwendig seien: die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien und Stromnetze, eine geeignete CO2-Transportinfrastruktur, der rechtliche Rahmen für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, Märkte für zunehmend CO2-freie Betone und Zemente sowie ein Konsens über den Technologiemix der Zukunft. Das bot, was Wortmeldungen zeigten, Gesprächsstoff. „Technisch herausfordernd, aber machbar“, hieß es aus dem Plenum, aber auch der Wille zur gesellschaftspolitischen Debatte unter Einbezug der Wirtschaft wurde deutlich.

Hinsichtlich des zweiten Punkts – einer CO2-Transportinfrastruktur – gab Boos Stellschrauben zu bedenken, die von der Politik zu lösen seien: „Momentan gibt es hierzulande keinen ausreichend großen Markt für CO2“, stellte er klar. Ein Problem sei zudem der EU-Emissionshandel: Weniger verfügbare Zertifikate bei gleichzeitig enormem Kostendruck erschwerten die Lage.

Innovationen: Umdenken und transformieren
Das bestätigte Felix Manzke, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Transportbetonindustrie e.V. (BTB). In seinem Vortrag „Mit weniger mehr bauen!“ sprach er sich für ein gemeinsames Umdenken und Handeln im Sinne der Dekarbonisierung und einer Kreislaufwirtschaft aus. Um dauerhaft nachhaltige Produkte herzustellen, müsse aber auch die Politik in die Pflicht genommen werden, so Manzke.

Die „Zukunft des Bauens mit Beton“ hatte Ulrich Nolting, Geschäftsführer beim InformationsZentrum Beton (IZB), im Blick. Beton sei auch in Zukunft ein nicht zu ersetzender Baustoff, weshalb eine effektive CO2-Abscheidetechnologie notwendig sei, so Nolting. Er plädierte für ein selbstbewusstes Auftreten der Industrie: „Die glaubwürdige Transformation soll aus der Opferrolle des Getriebenen hin zum Treiber führen und zielgruppengerecht positionierte Fakten vermitteln.“

Die politische Seite darf nicht fehlen
Wie die „Perspektiven für CO2“ aktuell aussehen, erklärte MDirig. Dr. Klaus-Peter Potthast vom Bayrischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Er setzte sich in seinem Vortrag für die Abscheidung, Speicherung sowie Nutzung von CO2 ein – insbesondere für unverzichtbare Produkte wie Zement, bei denen eine „Null-Kohlendioxid-Produktion“ nicht umsetzbar sei.

Wie es um die „Energieversorgung der Zukunft – Zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ bestellt ist, beschrieb MdL Raimund Haser, CDU-Fraktionsvize sowie umwelt- und energiepolitischer Sprecher im baden-württembergischen Landtag. Er zeichnete eine Ausgangslage, wonach die benötigte Primärenergie ohne fossile Energieträger nicht zu stemmen sei. „Bestehende Energieinfrastruktur auszubauen, ist ebenso wichtig wie der Fokus auf andere Technologien“, sagte Haser. Das derzeitige „Deutschland-Tempo“ seitens der Politik sei keine tolerierbare Geschwindigkeit, so der Christdemokrat weiter. Entsprechend lebhaft fiel die anschließende Diskussion aus: „Weniger verhindern, mehr ermöglichen“ lautete eine Forderung.

Mit der Brille der Planung und Forschung
Den Blickpunkt aus der Forschung nahm Professor Lucio Blandini, Leiter des Instituts für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universität Stuttgart in seinem Vortrag über „Bauen mit Beton: leicht und nachhaltig!“ ein. Seine These: Mehr Bauen ist dank Leichtbau mit weniger Material möglich – bei höherer Qualität. Als Beispiel nannte er den anlässlich zur Architekturbiennale 2023 in Venedig ausgestellte „Marinaressa Coral Tree“ – ein Ausstellungsstück, das abfallfrei aus Vergussmörtel mit recycelbaren Sandschalungen gefertigt ist. „Jede Zeit hat ihre Architektur und Werkzeuge“, erklärte Prof. Blandini auf die Frage, warum digitale Planungs- und Fertigungsmethoden bei Großprojekten wie Stuttgart 21 zum Einsatz kämen. Die Forschung sei beim „Mehr“ an Umweltschutz und Kreislaufwirtschaft gefragt, was laut Prof. Blandini nur mit interdisziplinärem Schulterschluss gelinge.

Teleoperation als Teil der Arbeitswelt
Ein Heimspiel war die WITA für Florian Falbesoner, Gruppenleiter für Technologie und Vorentwicklung im Liebherr-Werk in Telfs. Er erklärte, wie sicher, produktiv und zuverlässig die „Teleoperation als ergonomischer, zukunftsweisender Arbeits- und Logistikplatz in der Baustoffindustrie“ sei. Im Fokus dabei: die produktlinienübergreifende Baumaschinenfernsteuerung „Liebherr Remote Control“ – kurz: „LiReCon“. Derart digitalisiert und vernetzt werde die Arbeit, laut Falbesoner, neu und effizienter gestaltet. Zudem schafften die Systeme attraktive, sichere Arbeitsumgebungen und reduzierten zeitaufwändige sowie kostenintensive Sondertätigkeiten.

Die Bedeutung guter Kommunikation
Eine Premiere in großer Runde lieferten Sabine Schädle, Pressesprecherin der Holcim Süddeutschland GmbH und Vorsitzende des ISTE-Ausschusses für Öffentlichkeitsarbeit und Dr. Piet Sellke, adribo GbR. Sie stellten die Ergebnisse der bbs-Akzeptanzbefragung vor. Darin wurde die Bevölkerung zum Image und zur Akzeptanz gegenüber der Steine- und Erdenindustrie abgefragt. Fazit: „Wenig Wissen, viel Meinung“. Doch nur, wer fachlich fit sei, fasse Vertrauen. „Geben Sie so viele Infos wie möglich raus“, riet daher Sabine Schädle, während Dr. Sellke zu „Tue Gutes und sprich darüber“ tendierte. Wenngleich gute Kommunikation nicht Akzeptanz bedeute, gebe es auch diesbezüglich eine gute Nachricht: Steter Tropfen höhlt am Ende auch diesen Stein.

Ästhetisch-wissenschaftliches Plädoyer
Anderthalb Stunden können kurzweilig sein, wenn kluger Humor auf formschöne Fakten trifft. Den Beweis lieferte Leopoldina-Mitglied Prof. Dr. Gregor Markl, Lehrstuhl für Petrologie & Mineralische Rohstoffe, Universität Tübingen mit seinem ästhetisch-wissenschaftlich begründeten Plädoyer für die Notwendigkeit von mehr Gewinnungsbetrieben im Land. Nicht nur, dass die mineralogische Diversität ästhetisch wertvolle Formen und Farben vom Aquamarin bis zur Quarzdruse hervorbringt. Vielmehr sind Gewinnungsstätten bekanntermaßen Hotspots der Biodiversität: Eine auf den ersten Blick wenig fruchtbare Trockenwiese eigne sich zum Beispiel als wertvolles Habitat für Schmetterlinge und Co.

Ein faszinierendes XXL-Bauprojekt
Allein die schiere Größe des Staudamms Kühtai ist atemberaubend. Wie für dessen Errichtung die Materialgewinnung, Aufbereitung und der Erdbau funktionierten, erklärte Dr. Sebastian Perzlmaier von der TIWAG – Tiroler Wasserkraft AG. Mit drei Terrawattstunden deckt die Erweiterung des Damms aus den späten 1970er Jahren fast den Verbrauch von Tirol. Drei Jahre wurde geplant, der Bau soll 2026 abgeschlossen sein. Das verwendete Material entstammt rein aus dem Stauraum, fünf Millionen Kubikmeter sind es in Summe.

Der Kampf gegen die Rohstoffabgabe
Den aktuellen Stand zum Kampf gegen die Rohstoffabgabe in Nordrhein-Westfalen stellte Christian Strunk in seiner Funktion als Vorsitzender des Verbands der Bau- und Rohstoffindustrie e.V. (vero) vor. Er blickte zurück auf ein turbulentes Jahr 2023, das ein Gutachten gegen den geplanten „Kies- und Sand-Euro“, zahlreiche politische Gespräche sowie eine Demonstration vor dem Düsseldorfer Landtag mit 1500 Teilnehmenden hervorbrachte. Größte Sorge der Branche sei, dass der NRW-Plan bundesweit ausstrahle und die Abgabe für alle komme. Aber: Mit Wirkung zum 1. Januar 2024 war die befürchtete Rohstoffabgabe nicht da. „Es sind gefühlte 70 %, dass es klappt“, gab sich Strunk optimistisch, betonte aber auch, dass seit drei Monaten Funkstille herrsche.

Webbasierte Software als smarte Umsetzungshilfe
Von NRW ins Ländle: Für Baden-Württemberg entwickelten ISTE und das Qualitätssicherungssystem Recycling-Baustoffe und Boden Baden-Württemberg e.V. (QRB) die webbasierte Software „qeb.app“ zur digitalen Umsetzung der neuen Ersatzbaustoffverordnung. Jonatan Schmidt, Referent für Stoffstrommanagement im ISTE veranschaulichte, wie das bewährte QRB-System der Güteüberwachung modernisiert und um das Modul einer Einbaukarte ergänzt wurde.

Schlussworte voller Zuversicht
„Gut, anstrengend und lösungsorientiert“ – so fasste ISTE-Präsident Oliver Mohr die 70. WITA abschließend zusammen. Er hob die vielschichtigen Themen der insgesamt kurzweiligen Veranstaltung hervor: „Eines ist klar: Das hier können wir nur gemeinsam stemmen!“, bilanzierte Mohr. Sein Amtskollege BIV-Präsident Georg Fetzer bekräftigte, man werde auch weiterhin kräftig an einem Strang ziehen, über die Bundesländergrenzen hinaus. Er dankte insbesondere allen bayrischen Teilnehmenden und schloss mit der Feststellung, dass hoffen und handeln in diesen Zeiten tatsächlich nah beieinander lägen.

Spannendes Rahmenprogramm vor traumhafter Alpen-Kulisse
Neben den Vorträgen hatte die Winterarbeitstagung ein abwechslungsreiches Programm zu bieten: ein Winterspaziergang mit anschließendem Hüttenmittag auf der Wildmoosalm sowie das Junior:innen-Vorprogramm mit Skifahren und dem Besuch der Innsbrucker Bergisel-Skisprungschanze.  

+++SAVE THE DATE+++
Die 71. Winterarbeitstagung findet vom 12.-15. Januar 2025 im Hotel AQUA DOME, Längenfeld/Österreich statt.