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15. Januar 2025

71. Winterarbeitstagung 2025: „Geht das deutsche Erfolgsmodell zu wirtschaften zu Ende?“

Wie können wir den politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen mit Visionen und Mut begegnen? Mit dieser Frage beschäftigten sich die über 200 Teilnehmenden der 71. Winterarbeitstagung des Industrieverbandes Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE), der gemeinsam mit dem Bayerischen Industrieverbandes Baustoffe, Steine und Erden e.V. (BIV) in das österreichische Längenfeld zum Branchentreff einlud.

Von Geopolitik zur Landespolitik

Das Programm startete weltpolitisch: „Es gibt keinen Konflikt in dieser Welt, der uns unberührt lässt“, resümierte Sicherheitspolitikexperte Prof. Dr. Carlo Masala. Der Wissenschaftler von der Universität der Bundeswehr in München und Beirat der Bundesakademie und des NATO Defence Colleges redete Klartext und lenkte den Blick auf einige unbeachtete Hintergrundphänomene, die die heutigen Konflikte und Machtgefüge in Perspektive rücken.

Die geopolitische Weltordnung stehe vor einem tiefgreifenden Wandel. Revisionistische Kräfte fordern die liberale Welt heraus, während internationale Krisen strategisch miteinander verknüpft werden. Deutschlands auf den Chinaexport und günstige Energie ausgerichtete Wirtschaftsmodell gerate unter Druck, die sicherheitspolitische Stütze der USA für Europa schwinde. Laut Masala zeichne sich eine bipolare Ordnung zwischen den USA und China ab, auf die Europa nicht vorbereitet sei.

In Deutschland wären wir bisher als Globalisierungsgewinner von Wohlstand und Sicherheit verwöhnt gewesen. Dass das aber kein Normalzustand sei, dass Demokratie verteidigt werden müsse und die Politik wieder „zumuten“ lernen sollte, waren nur einige der vielen spannenden Einsichten des bekannten Strategen und Beraters.

Die kommende Wahl werde eine der bedeutendsten; Deutschland müsse sich entscheiden, wie es in die neue Weltordnung eingebunden sein wird. Gleichzeitig gehe es darum, ein neues Modell für nachhaltigen, sozialen und ökonomischen Wohlstand zu schaffen, um überhaupt eine Chance zu haben: „es wird ohne Zumutungen – für uns alle – nicht gehen“. Allerdings gehe der aktuelle Wahlkampf krachend an diesem Thema vorbei. Um Stabilität und Wohlstand zu sichern seien ehrliche politische Entscheidungen und demokratisches Engagement unabdingbar. „Die eigentliche Zeitenwende ist die Resilienz der Gesellschaft“, so Masala.

Was bedeutet das konkret für die Wirtschaftspolitik und die Rohstoffversorgung in Baden-Württemberg? Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut MdL, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus in Baden-Württemberg stand dazu Rede und Antwort. Sie sprach sich für den Industriestandort im Land aus und betonte vor allem die Dringlichkeit des Themas Carbon Management und CO2-Transportinfrastruktur. Eine klimaneutrale Rohstoffversorgung brauche Innovation und technischen Fortschritt. Dabei sei die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch eine Chance für die heimische Industrie.

Die EU richte ihren Fokus verstärkt auf den heimischen Abbau und die Weiterverarbeitung von Rohstoffen, was sich in den ambitionierten Zielen des Critical Raw Materials Act (CRMA) zeige: Mindestens 10 % der Rohstoffe sollen innerhalb der EU gewonnen, 40 % verarbeitet und 25 % recycelt werden. Zur Unterstützung dieser Ziele wären Investitionen auf EU- und Bundesebene angekündigt worden, begleitet von Maßnahmen zur Vereinfachung der Berichtspflichten und einer beschleunigten Genehmigungspraxis. Insgesamt könne eine wettbewerbsfähige Transformation nur durch eine gemeinsame Anstrengung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vorangetrieben werden, so die Ministerin.

Klimaneutrale Transformation und Nachhaltigkeit von A bis Z

Eine Frage stand bei fast allen Beiträgen im Vordergrund: Wie kann die Transformation hin zur Klimaneutralität in der Branche gelingen - möglichst nachhaltig, bürokratiearm und effizient? Die Vorträge beleuchteten die vielfältigen und oft miteinander verwobenen Aspekte des Themas.

Technologische Innovationen

Ganz konkrete Innovationen gab es bei Dr. Peter Antweiler von Lukas Gläser GmbH & Co. KG sowie Simon Husemann und Staale Hansen von Zeppelin Baumaschinen GmbH. Sie stellten Entwicklungen im Bereich Fernsteuerung und Elektrifizierung von Baumaschinen vor, die nicht nur Emissionen sparen, sondern auch deutliche Verbesserungen für Sicherheit, Produktivität und Komfort bringen - sofern die Genehmigungshürden einmal in Angriff genommen wurden.

Dr. Horst Kreuter will mit seiner Firma Vulcan Energy Resources GmbH zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Thermalwässer des Oberrheingrabens enthalten neben Wärme auch Lithium – in nicht unwesentlicher Konzentration. Den kritischen Rohstoff vor Ort zu fördern könnte zur Unabhängigkeit Europas beitragen. Die Kombination mit Tiefengeothermie erzeuge als Nebenprodukt Fernwärme und Strom, was die Förderkosten unschlagbar günstig mache. Kreuter hat einige Pilotanlagen in der Pipeline, doch der Weg durch Bergrecht und öffentliche Akzeptanz ist kein leichter.

Für die Emissionen, die nicht vermieden werden können, bleibt die technische CO2-Abscheidung. Ulrich Nolting vom InformationsZentrum Beton GmbH erklärte, „die Industrie will transformieren“. Doch es brauche die nötige Infrastruktur zur Abscheidung, „ohne diese Technologien wird die klimaneutrale Zementherstellung nicht gehen“. Des Weiteren plädierte Nolting dafür, sich mit Blick auf die Baukonjunktur und die begrenzte Verfügbarkeit von Holz mit der Holzbauindustrie zusammenzutun. Der Einsatz von Holz stelle keine Konkurrenz dar, sondern eher eine Ergänzung.

Wirtschaftliche Anpassungen

In einer Welt voller Unstetigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit tragen klassische Erfolgsfaktoren für Unternehmen nicht mehr. „Unternehmen scheitern nicht, weil sie etwas falsch machen, sondern weil sie etwas Richtiges zu lange machen“, erklärt Thomas Karcher, Kies und Beton AG Baden-Baden. Ein zeitgemäßer Umgang mit diesen fundamentalen Herausforderungen basiere darauf, die Sinnhaftigkeit der Veränderungen zu sehen, Chancen aufzugreifen und gleichzeitig die Wertekultur im Blick zu behalten.

Das bedeutet auch, einmal um die Ecke zu denken, wie Simon Bodensteiner mit der Deutschen Flussspat GmbH. Diese plant, die bestehende Flussspatgrube Käfersteige bei Pforzheim wieder aufzuschließen und dabei bestehende Infrastruktur zu nutzen, um der erstarkten Nachfrage nachzukommen. Flussspat ist unerlässlich für die Batterieproduktion und wird weltweit nur von wenigen großen Produzenten gefördert. „Da wollen wir gegensteuern“, so Bodensteiner. Bisher gäbe es sowohl von Behörden als auch Anwohnenden viel Zustimmung.

Politische Ansätze

Martin Ogilvie
vom Bundesverband der Deutschen Kalkindustrie hat eine Kernbotschaft: „wir haben das Potenzial, die Kalkindustrie zu 133% zu dekarbonisieren“. Wie? Durch CO2-Vermeidung, Abscheidung und Karbonatisierung. Doch bisher hake es an den politischen Voraussetzungen. „Es gibt große Forschungsvorhaben, doch keiner wird die Investitionsentscheidungen treffen, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht stehen“, bemängelt Ogilvie. Es brauche neben der rechtlichen Erlaubnis vor allem eine sichere Energieversorgung, Steuererleichterungen und einen zügigen Netzausbau.

Auch die Verkehrsinfrastruktur muss instandgehalten werden. Das stellt hohe Anforderungen an technische Regelwerke – doch diese sind nicht immer praxisnah. „Durch überzogene Anforderungen tut man der Umwelt auch nichts Gutes“, warnte Prof. Dr.-Ing. Leyla Chakar von der Hochschule für Technik Stuttgart und verwies auf längere Transportwege als Folge. Statt strikterer Vorgaben seien eine stärkere begleitende Bauüberwachung und klarere Formulierungen wichtig, um die Qualität praktisch sicherzustellen.

Politische Richtlinien sind auch bei der Flächenplanung gefragt. Flächen sind ein begrenztes Gut, doch die Ansprüche daran wachsen stetig, ebenso die planerische Komplexität. „Flächensparen ist die Quadratur des Kreises“, betonte Dr. Matthias Proske, Verbandsdirektor des Regionalverbandes Mittlerer Oberrhein. Er forderte eine effizientere Nutzung durch integrierte Planung und gezielte Priorisierung, etwa bei Rohstoffmächtigkeiten und Siedlungsverdichtung. Gleichzeitig müsse man daran arbeiten, Doppelprüfungen und Mehrfachverfahren zu vermeiden, um die Entbürokratisierung voranzubringen, statt Strukturdebatten über Verwaltungsebenen zu führen.

Neben der Reduktion von Emissionen gehe es auch darum, die Resilienz gegenüber den Folgen des Klimawandels zu stärken, meint Dr. Ulrich Maurer, Präsident der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW). Themen wie Starkregenrisikomanagement, Hochwasserprävention und Niedrigwasserbewältigung stünden dabei im Fokus. „Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie wir das Wasser, das künftig noch vorhanden ist, verteilen“, erklärte er mit Blick auf den Masterplan Wasserversorgung des Landes. Die LUBW unterstützt Städte, Kommunen und Unternehmen mit Daten, Prognosen und Strategien, etwa zu blau-grüner Infrastruktur und invasiven Arten als Klimawandelfolge.

Beispiele aus der Praxis

Praxisnahe Beispiele zeigen, wie über verschiedene Ebenen hinweg transformative Synergien geschaffen werden können. Mandana Hoffmann hat das Genehmigungs- und Nachhaltigkeitsmanagement bei Franz Carl Nüdling Basaltwerke GmbH + Co. KG auf das nächste Level gehoben. Sie erklärt, wie ein erfolgreiches Genehmigungsmanagement aussehen kann, dass sich auf pragmatische Nachhaltigkeitsmaßnahmen stützt. Ein zentrales Element sei dabei das Biodiversitätsmanagement, das die Akzeptanz von Genehmigungsverfahren stärkt. „Die Behörde bekommt mit, dass wir uns über die Anforderungen hinaus Gedanken machen“, betonte Hoffmann. Das fördere Vertrauen und Transparenz, auch bei der Anwohnerschaft.

Steffen Loos
stellte die Biodiversitätsdatenbank der Steine- und Erdenindustrie als praxisnahes Werkzeug für Naturschutzmaßnahmen und Genehmigungsverfahren vor. Seit 2022 nutzt Schaefer Kalk GmbH & Co. KG die Plattform erfolgreich für Biotopkartierungen, Berichterstattungen und die Zusammenarbeit mit Behörden. „Man hat einen Riesenmehrwert – nutzt diese Datenbank!“, so sein Resümee. Die benutzerfreundliche Anwendung erleichtert die Dokumentation, erstellt automatische Reports und stärkt die Transparenz gegenüber Behörden und Öffentlichkeit.

Die Tongrube Hammerschmiede im Allgäu ist ein ganz besonderer Ort. Durch die natürlichen Rinnenstrukturen des Abbaus entstehen ideale Bedingungen für paläontologische Forschungen, erklärt Prof. Dr. Madeleine Böhme, Spezialistin für Terrestrische Paläoklimatologie an der Universität Tübingen. „Hier wird so intensiv gegraben wie sonst fast nirgendwo“. Die Fundstätte liefert wertvolle Einblicke in eines der artenreichsten fossilen Ökosysteme und zeigt, dass Rohstoffgewinnung und Wissenschaft Hand in Hand gehen können.

Eine Tagung voller Energie und Teamgeist

Unter dem Motto „Herausforderungen, Visionen und Mut“ bot die Veranstaltung eine spannende Mischung aus wirtschaftspolitischer Einordnung, inspirierenden Best-Practice-Beispielen und innovativen technischen wie organisatorischen Ansätzen für die Zukunft. Dabei blieb auch ausreichend Zeit für den persönlichen Austausch.

Bereits vor dem offiziellen Start tauchten die Juniorinnen und Junioren des Verbands in einem intensiven Workshop mit Mediencoach Andreas Spengler in das Thema Krisenkommunikation ein – ein entscheidender Aspekt in einer zunehmend digitalisierten Welt, in der Transparenz und proaktive Kommunikation wichtiger sind denn je.

Neben herausragenden Vorträgen war die Outdoor-Olympiade im Schnee ein besonderes Highlight: Bei strahlendem Sonnenschein stellten sich die Teilnehmenden mit Schneeschuhen und Team-Ski sportlichen Wettkämpfen – und rangen schließlich beim Wettsingen um den begehrten Eispokal. Ein unvergesslicher Spaß!