Größte schwimmende PV-Anlage in Deutschland auf Baggersee eingeweiht
Die größte schwimmende PV-Anlage in Deutschland in Bad Schönborn zeigt das noch weitgehend ungenutzte Potenzial der Baggersee-Flächen. Auch der Ministerpräsident fordert eine Aufhebung der 15-Prozent-Regel.
Auf dem Philippsee in Bad Schönborn (Landkreis Karlsruhe) wird seit Oktober Strom produziert. Die derzeit größte und leistungsstärkste schwimmende Photovoltaikanlage Deutschlands schafft im Idealfall eine Leistung von 15 Megawattpeak (MWp) und damit bis zu 16,1 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr. Das entspricht in etwa dem Verbrauch von 6000 Haushalten. Die Anlage könnte noch mehr zur Energiewende beitragen. Aber in Deutschland dürfen nur maximal 15 Prozent der Fläche eines Baggersees mit einer PV-Anlage bedeckt werden. Bei der feierlichen Eröffnungsveranstaltung am Philippsee sprachen sich alle Rednerinnen und Redner, allen voran der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, für eine Anhebung dieser Grenze aus.
Familienunternehmen ergreift Initiative
Das Familienunternehmen Philipp & Co KG mit Sitz in Bad Schönborn betreibt seit rund 60 Jahren ein Kieswerk am Philippsee. Das Unternehmen ergriff auch die Initiative für die schwimmende PV-Anlage, die in der Branche und damit auch im Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE) schon seit einigen Jahren Thema sind und intensiv diskutiert werden.Realisiert wurde das Projekt in Bad Schönborn gemeinsam mit der Firma O & L Nexentury, einem Teil der Ohlthaver & List Unternehmensgruppe. O & L Nexentury hat sich “auf die Entwicklung, den Bau und den Betrieb individuell angepasster, photovoltaisch gestützter Energieerzeugungs- und Energieversorgungsanlagen weltweit spezialisiert”, wie sich das Unternehmen selbst beschreibt. Auf dem Philippsee ist das Unternehmen Projektentwickler, Generalunternehmer und Anlagenbetreiber, Partner sind die O & L Europe SE als Hauptinvestor, der Kieswerkbetreiber Philipp als Co-Investor, die DKB als finanzierende Bank und das Land Baden-Württemberg als Eigentümer der Seefläche.
In dem Energieprojekt wurden rund 26.000 Solarmodule auf schwimmenden Plattformen verbaut. Diese Pontons wurden speziell für den Einsatz auf Wasserflächen entwickelt, halten jedes Wetter aus und sind am Gewässergrund verankert, damit sie etwa bei Sturm nicht abtreiben und der gesetzliche Mindestabstand vom Ufer von 40 Metern konsequent eingehalten wird. So werden die ökologisch wertvollen Uferzonen geschützt. Die PV-Module sind in Ost-West-Ausrichtung installiert und haben einen größeren Abstand zueinander als sonst, damit mehr Licht auf die Wasseroberfläche fällt. Sie sind jetzt wesentlicher Teil der Energieversorgung des Kieswerks und ermöglichen einen Autarkiegrad von rund 70 Prozent. Der Überschuss wird ins Netz eingespeist. Durch die Anlage werden pro Jahr CO2-Emissionen von etwa 11.000 Tonnen eingespart.
Ministerpräsident: Alle Potenziale ausschöpfen
Ministerpräsident Winfried Kretschmann ließ es sich bei der feierlichen Eröffnung nicht nehmen, sich mit dem Boot zu den Schwimmpontons übersetzen zu lassen und sich die PV-Anlage aus nächster Nähe anzuschauen. Er betonte, dass für das Gelingen der Energiewende alle verfügbaren Potenziale ausgeschöpft werden müssten, also auch die in Baden-Württemberg in großer Zahl vorhandenen Baggerseen. Er sprach sich entschieden dafür aus, die 15 Prozent-Regel aufzuheben. “Wir sehen ja in den Niederlanden, dass die Welt nicht untergeht, wenn man größere Flächen durch PV-Anlagen belegt.” Nach den Ergebnissen einer vom Land in Auftrag gegebenen Studie würde eine Belegung der Seeflächen von 25 Prozent der Umwelt nicht schaden, bei einer Belegung von 35 Prozent würde “höchstwahrscheinlich” auch nichts passieren. Doch nicht einmal für Forschungszwecke ist es erlaubt, mehr Seefläche zu belegen, das sei widersprüchlich. Deswegen habe das Land das Bundesministerium schon um Ausnahmegenehmigungen für Pilotprojekte gebeten und auch gleich einen Formulierungsvorschlag für eine Gesetzesänderung mitgeschickt. “Es ist doch selbstverständlich, dass man das Potenzial nicht liegen lässt, sondern nutzt.”
Dr. Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, sprach sich ebenfalls für eine Anpassung der 15-Prozent-Regel aus. “Ich kann nur sagen, dass das Wirtschaftsministerium hier bisher nicht das Problem war,” betonte sie. “Ich weiß, dass hier etwas tolles Neues entsteht!” Da Deutschland noch einige PV-Anlagen mehr auf Baggerseen benötige, um das Ziel der Energiewende zu erreichen, arbeite das Wirtschaftsministerium an einem eigenen Fördersegment dafür. Allerdings fehle noch die Freigabe aus Brüssel. Sie wies auch auf die vergleichsweise schnelle Realisierung der Anlage innerhalb weniger Jahre vom ersten Gespräch bis zur Inbetriebnahme hin. Brantner: “Wenn wir alle anpacken, geht’s auch mal schnell.”
Deutschland kann Großprojekte
“Unsere Region ist prädestiniert für solche Projekte”, sagte der stellvertretende Landrat des Kreises Karlsruhe bei der Eröffnungsfeier. “Der Wille zur Energiewende ist im Landkreis Karlsruhe vorhanden.” Mit Verweis auf die innerhalb von nur sieben Monaten erfolgte wasserrechtliche Genehmigung des PV-Projekts in Bad Schönborn betonte er: “Die deutsche Verwaltung kann Großprojekte.”
Der Bürgermeister von Bad Schönborn, Klaus Detlev Huge, zeigte sich stolz über das Projekt, das seine Stadt auch überregional bekannt macht. Er wies auf die Innovationskraft der Kur- und Brüdergemeinde mit gut 13.000 Einwohnern hin, aus der beispielsweise die Software für alle öffentlichen Ladestationen in den USA stamme. Auch er forderte eine Aufhebung der 15-Prozent-Grenze, hob aber gleichzeitig die Bedeutung des kontinuierlichen und frühzeitigen Dialogs mit den anderen Nutzern des Sees hervor, also am Philippsee etwa den Windsurfen und den Anglern. Die Surfer beispielsweise hätten durch die PV-Anlage auf Fläche verzichten müssen. Es bleibe aber noch genug Platz für die Sportler. “Und unsere Angler sind sehr zufrieden, fast schon glücklich”, so Huge - weil es jetzt mehr ruhige Uferflächen gebe.
ISTE: Drei Versuchsanlagen mit mehr Fläche
“Wir sehen darin großes Potenzial”, freute sich Oliver Mohr vom ISTE bei der Podiumsdiskussion anlässlich der Eröffnung. Nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts seien mindestens 70 Seen in Baden-Württemberg für eine Nutzung mit schwimmenden PV-Anlagen geeignet. Bei einer Aufhebung der 15-Prozent-Regel eventuell sogar noch mehr. Deswegen strebe der ISTE zunächst drei Versuchsanlagen mit einer größeren Belegungsfläche an, wie es auch der Ministerpräsident schon gefordert habe. Eine generelle Öffnung der Baggerseen, über Forschungszwecke hinaus, müsse das Hauptziel bleiben.
“Wir haben durchaus Steine aus dem Weg räumen müssen”, sagte Kieswerkbetreiber Gerhard Philipp über den Entstehungsprozess des innovativen Projekts, das innerhalb von gut drei Jahren entstanden sei. Seine Forderungen: Genehmigungen vereinfachen, Überregulierungen abschaffen und Unternehmern und Bürgern mehr Vertrauen schenken!
Weitere Links:
- Zumeldung des ISTE
- SWR-Beitrag mit Video