100 Tage Mantelverordnung – erste Bilanz auf dem 26. Baustoff-Recycling-Tag
Seit dem 1. August 2023 regelt die Mantelverordnung, wie gebrauchte Baustoffe sowie Bodenaushub recycelt und eingesetzt werden – und das bundeseinheitlich. Zuvor hatte es lediglich landesweite Regelungen gegeben. Nach 100 Tagen ihres Inkrafttretens war es Zeit für ein erstes Fazit. Unter diesem Motto trafen sich etwa 365 Vertreter:innen aus der Verwaltung, Politik, der Bauwirtschaft-, sowie der Recycling- und Verfüllbranche im Oktober auf dem 26. Baustoff-Recycling-Tag in der Filharmonie in Filderstadt – so viele wie noch nie.
Der landesweite Branchentreff wird jährlich vom Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE) sowie dem Qualitätssicherungssystem Recycling-Baustoffe Baden-Württemberg e.V. (QRB) veranstaltet. Mit dabei war auch in diesem Jahr der Staatssekretär des Umweltministeriums Dr. Andre Baumann MdL.
Politische Statements: Fazit zur Mantelverordnung aus Politik und Industrie
Der Staatssekretär betonte zu Beginn seines Grußworts, dass es wichtig sei, das Baustoffrecycling voranzubringen. Daher habe das Land der Verordnung nach 15 Jahren Mitwirkung im Bund im Bundesrat zugestimmt – auch wenn sie als Kompromiss zwischen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung nicht perfekt sei. Der Staatssekretär forderte Industrie und Verwaltung auf, gemeinsam an den Schwachstellen der Verordnung zu arbeiten: Zum Beispiel in Form eines Landes-Dialogforums, auf dem sich Verwaltung und Industrie austauschen. Mit Sorge betrachtete er die Entwicklungen in manchen Bundesländern, die die Schwachstellen der Ersatzbaustoff-Verordnung (ErsatzbaustoffV) länderspezifisch neu auslegen. Der Bund müsse für länderübergreifende Einheitlichkeit sorgen.
Oliver Mohr, Präsident des ISTE, stimmte diesem Punkt in seinem Grußwort zu und fügte an: „Es gibt Fehlstellen in der Ersatzbaustoff-Verordnung, die rasch bundeseinheitlich behoben werden müssen. Anderenfalls drohen wieder länderspezifische Auslegungen.“ Oliver Mohr stellte zudem klar, dass die ErsatzbaustoffV durchaus durchdacht sei und nach der ersten Ohnmacht mittelfristig auch Chancen bieten könne. Was die Recycling- und Verfüllbranche jedoch dringend benötige, sei die Unterstützung durch die Politik und Verwaltung. Denn ein großes Problem sei die fehlende Akzeptanz für Ersatzbaustoffe. So werde bei Ausschreibungen nicht produktneutral ausgeschrieben – Recyclingmaterial sei vielmehr häufig überhaupt nicht gewünscht.
Christa Szenkler, Vorsitzende der Fachgruppe Recycling-Baustoffe und Boden des ISTE, zog wegen der Komplexität und Unklarheiten ein ernüchtertes Fazit zur ErsatzbaustoffV und appellierte an die Politik und Verwaltung, sich nicht dem illusorischen Konzept des „Up- und Downcyclings“ hinzugeben: „Mineralische Ersatzbaustoffe im R-Beton für den Hochbau zu nutzen, ist wichtig. Es ist aber nicht besser, als sie im Straßenbau, zum Beispiel als Frostschutzschicht, einzusetzen – beide Einsatzweisen sind in derselben Abfallhierarchiestufe. Sekundärrohstoffe sollten dort eingesetzt werden, wo sie am meisten Sinn ergeben.“
Umfrage unter Mitgliedern des QRB: Wie setzen die Unternehmen die Mantelverordnung um?
Dass die ErsatzbautoffV noch Schwachstellen aufweist, untermauerten Oliver Mohr und Dr. Bernd Susset, Referent im ISTE für Wasser, Boden und Abfall und Geschäftsführer des QRB anhand einer Umfrage mit 50 Mitgliedsunternehmen. Darin berichteten mehr als 75 % der Befragten, dass sie ihre Materialien über die neue QRB-Plattform gemäß ErsatzbaustoffV bewerten und zertifizieren lassen konnten. Die Hälfte gab an, dass sie seit Einführung der ErsatzbaustoffV weniger mineralische Ersatzbaustoffe in Verkehr bringen konnten als noch vor dem 1. August 2023. Etwa 30 % berichten sogar von einem massiven Einbruch der Nachfrage. Lediglich 20 % der befragten Unternehmen berichten von einem problemlosen Absatz und Verwendung von Ersatzbaustoffen.
Grund für die nachlassende Nachfrage sei nach Einschätzung der Unternehmen der bürokratische Mehraufwand durch die ErsatzbaustoffV (25 %), die allgemeine Verunsicherung des Marktes (25 %) und falsche Ausschreibungen (25%). Zu jeweils etwa einem Achtel gaben die Unternehmen an, dass nach ihrer Einschätzung die Bauunternehmen weniger nachfragten oder Behörden die Zulassung verzögerten.
ErsatzbaustoffV und LAGA M 23: Fazit durch die Umwelt- und Straßenbauverwaltung und die Güteüberwachungsgemeinschaft QRB
Auch in den Verwaltungen gibt es noch zahlreiche Fragezeichen. Das beschrieben Dr. Daniel Laux und Falk Fabian vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg sowie Dr. Thomas Chakar vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg in ihren Vorträgen. „Auch die Behörden brauchen Zeit, die neue Verordnung in die Praxis umzusetzen,“ konstatierte Dr. Laux und betonte die Bedeutung der Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung und Industrie, um die Herausforderungen gemeinsam zu lösen. Das sei insbesondere wichtig, wenn es um die Fortschreibung der ErsatzbaustoffV ginge. Insgesamt gelte es, die Güteüberwachung und die Akzeptanz von Ersatzbaustoffen zu stärken. Dass dies durch die ErsatzbaustoffV möglich sei, zeigten die Zahlen: So seien von Seiten der Verwaltung noch keine Stoffstromverschiebungen feststellbar, lediglich beim Boden gebe es eine leichte Verschlechterung. Falk Fabian resümierte in seinem Vortrag, dass das neue Merkblatt M 23 zum Umgang mit asbesthaltigem Material sowie die Voruntersuchung und Selektion auf der Baustelle gewährleisteten, dass asbesthaltiges Material aus dem Stoffstrom ausgeschleust werde und gar nicht erst in RC-Anlagen ankomme.
Die Mantelverordnung im Blick zu behalten, versprach Dr. Chakar vom Verkehrsministerium – vor allem bei der Produktneutralität, die in Ausschreibungen oft nicht gewährleistet ist. „Das ist der Mindeststandard, den wir einhalten müssen,“ so Dr. Chakar. Diesem Appell schloss sich auch Dr. Bernd Susset an. Der Geschäftsführer des QRB stellte im anschließenden Vortrag die neue Einbaukarte der „qeb.app“ vor, einer Anwendung zum Qualitätsmanagement für den Einsatz von Baustoffen. Sie dient als Hilfstool zur Bestimmung von Einbaumöglichkeiten für mineralische Ersatzbaustoffe, die mit dem ebenfalls neuen Güteüberwachungstool der qeb.app zertifiziert wurden.
Dafür berücksichtigt die Einbaukarte alle Anforderungen der ErsatzbaustoffV an die Bodenart des Untergrundes, die grundwasserfreie Sickerstrecke sowie der Lage zu Wasserschutzbereichen in Baden-Württemberg. Für 56 % der Landesoberfläche gibt die Einbaukarte Hinweise auf überwiegend günstige Einbaumöglichkeiten. Für 34 % der Landesoberfläche sind allerdings Einzelfallgenehmigungen erforderlich – aufgrund einer Fehlstelle in der ErsatzbaustoffV. Denn entgegen den fachlichen Grundlagen wurden auch für die günstigsten Qualitäten von Ersatzbaustoffen Anforderungen an die Bodenart des Untergrundes gestellt, die in Kieslandschaften und auf Grundgebirge nicht klar geregelt sind – selbst bei Einhaltung des Grundwassermindestabstandes.
Weitere praxisrelevante Themen rund ums Thema Recycling und Dekarbonisierung
Tino Villano vom Zementhersteller OPTERRA Wössingen präsentierte Wege, wie die Zementindustrie die Dekarbonisierung vorantreiben möchte. Einer dieser Wege ist das Carbon Capture and Storage (CCS) und Carbon Capture and Utilisation (CCU). Hierbei wird das CO2 im Zementwerk abgeschieden und in geologischen Schichten verpresst bzw. für chemische Prozesse genutzt. Auch Recycling-Baustoffe können hier eine bedeutende Rolle spielen: Durch Rekarbonatisierung können diese CO2 aufnehmen und als Substitute im Gesteinskörnungszuschlag und im Zement CO2 einsparen.
Die Umstellung auf eine dekarbonisierte Zementindustrie koste Geld – verbunden mit einem höheren Zementpreis, so Villano. Wie auch seine Vorredner hob er die Bedeutung der öffentlichen Vergabe- und Ausschreibungspraxis hervor: „40 % des weltweit hergestellten Zements geht in öffentliche Bauprojekte. Daher hat die öffentliche Hand im Vergabeprozess einen starken Hebel, welchen Zement sie für Bauvorhaben nutzt.“
Während Maximilian Meyer vom Bundesvereinigung Recycling-Baustoffe e. V. (BRB) europa- und bundesrechtliche Entwicklungen vorstellte, erläuterte Philipp Schwarz von der HPC AG – einem Beratungsunternehmen für Flächenrecycling, Umweltberatung und Infrastrukturplanung – wie die Materialien auf der Baustelle vorerkundet werden müssen, damit sie ohne Risiko und nach Ausschleusung von asbesthaltigem Material gemäß dem neuem Merkblatt M 23 am Werkstor angenommen werden können.
Zum Schluss machte sich Gregor Franßen von der Franßen & Nusser Rechtsanwälte PartGmbB auf die juristische Suche nach dem Ende der Abfalleigenschaft von natürlichen Bodenmaterialien und Steinen. Da die ErsatzbaustoffV dies nicht bundeseinheitlich regelt, entstehe nun Wildwuchs in den Ländern. Dies machte er anhand der zahlreichen, teils sich widersprechenden FAQs der Länder und des Bunds deutlich. „Je nach Bundesland wird Bodenmaterial zum Nicht-Abfall oder nicht,“ fasste Gregor Franßen die Sachlage zusammen. Das könne nicht das Ziel einer verbindlichen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sein, so der Anwalt mit den Schwerpunkten für Abfall- und Kreislaufwirtschaft.
Dem stimmte Michael Knobel, Vorsitzender des QRB zu: „Die Regelung war bundeseinheitlich geplant. Deshalb müssen Fehlstellen und Regelungslücken bundeseinheitlich repariert werden.“ Er gab in seinen Schlussworten zudem einen Ausblick auf die zukünftigen Herausforderungen. Denn auch bei diesem RC-Tag wurde deutlich: In puncto Recycling bleibt noch einiges zu tun.