„Kreislaufwirtschaft muss das neue Normal werden“
Filderstadt, 1. Oktober 2025 - Recycelte Baustoffe auf kiesigem Untergrund und Grundgebirge zu erlauben, die Grundwasserdeckschicht verbindlich zu definieren oder einheitliche Analyseverfahren bei Fremdüberwachung und bei Selbstkontrolle festzulegen, sind nur drei von neun Parametern, die in der Ersatzbaustoffverordnung (ErsatzbaustoffV) angepasst werden sollen. Diese gilt seit Juli 2023 und wurde beim 28. Baustoff-Recycling-Tag des Industrieverbandes Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE) in Filderstadt Anfang Oktober erneut diskutiert.
Rund 270 Teilnehmende, davon die Hälfte Mitglieder des ISTE und des Qualitätssicherungssystem Recycling-Baustoffe Baden-Württemberg e.V. (QRB), die landesweit 186 Recyclingwerke betreiben, waren in der Stadthalle vertreten. Die Branche setzt im Südwesten jährlich mit 15.000 Beschäftigten an 800 Standorten rund sechs Milliarden Euro um.
Nadine Muchow, die beim ifeu-Institut in Heidelberg die Kreislaufwirtschaft verantwortet, hatte im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) in einem zweitägigen Planspiel mit mehr als 100 Akteuren aus der Baubranche, vom Abbruchunternehmer über die Behörden bis zum Bauherren, dessen Architekten und den Überwachungs- und Untersuchungsstellen, typische Aufträge simuliert: Es sollten je eine Schule und ein Bürogebäude rückgebaut und deren Materialien möglichst umfangreich in neuen Bauwerken und Straßen verwertet werden. Dabei sollten die wesentlichen Hemmnisse in der Praxis und die anzupassenden Stellschrauben in der Verordnung identifiziert werden.
Über die Ergebnisse, also die erwähnten neun Parameter, referierte die Umweltingenieurin beim ISTE. Dazu zählt auch, Kleinmengen bis 250 Tonnen aus der ErsatzbaustoffV herauszunehmen, die Regulatorik für mobile Baustellen zu vereinfachen und Sanktionen für Verstöße zu definieren. Denn auch das belegte die spätere Diskussion: Viele mobile Baustellen werden den Landratsämtern offenbar gar nicht gemeldet und etliches Abbruchmaterial verschwinde in „nicht erfassten Kanälen“, etwa beim Bau landwirtschaftlicher Stallungen.
Muchows Fazit: „Die Ersatzbaustoffverordnung ist grundsätzlich akzeptiert, die Grenzwerte und zulässigen Einbauweisen in den Einbautabellen sind anwendbar. Einige Anleitungen aber missverständlich und wenig praxistauglich.“ Es besteht ein breiter Konsens im Planspiel zu den neun wesentlichen Stellschrauben-Parametern, die in einer schnellen Novelle angepasst werden sollten. Tatsächlich müsse man zu den zentralen Themen wie der Verwertung auf kiesigem Untergrund und den Standortbedingungen lediglich zum Fachkonzept des UBA zurückkehren, welches ja die materielle Grundlage der ErsatzbaustoffV darstelle.
Die Erkenntnisse flössen in die erste Novelle der ErsatzbaustoffV ein, sicherte Michael Marty zu. Der Jurist, der für das UBA in Dessau arbeitet, bat die Unternehmer um Geduld. Seine Behörde, die die Gesetzesnovelle für den Bundestag vorbereitet, müsse auch die Belange der Bundesländer berücksichtigen. Eine 1:1 Umsetzung der im Planspiel festgestellten Empfehlungen ist dabei naturgemäß nicht garantiert. Im Ziel sei man sich aber einig, die RC-Quoten erhöhen und die Deponien schonen zu wollen.
„Kreislaufwirtschaft muss das neue Normal werden“, betonte Andre Baumann mehrfach. Der promovierte Biologe, Staatssekretär im Umweltministerium des Landes, forderte die Zuhörer auf, ihm ganzjährig Beispiele zu nennen, in denen Behörden diese behinderten. Seit Oktober 2024 seien ihm 18 Missstände zugetragen worden, in denen Behörden etwa nicht produktneutral ausgeschrieben hatten. „Wir sind allen Fällen über die Regierungspräsidien nachgegangen,“ so Baumann, was zur Sensibilisierung der Verantwortlichen beigetragen habe.
Als später Referenten aus der Praxis wie etwa Christa Szenkler, die die Fachgruppe Recyclingbaustoffe beim ISTE leitet, oder Dr. Bernd Susset, der für den ISTE in EU-Fachausschüssen sitzt, Beispiele für Widersprüche in der Rechtsauslegung nannten und Einblicke gaben, was „an Absurditäten in Brüssel geplant ist, um die 30 nationalen Verordnungen zum Abfallende zu harmonisieren“, ergriff Baumann nochmals das Wort. Der Staatssekretär verkündete, die Regierung bringe im Landtag ein „Regelungsbefreiungsgesetz“ ein, das die Aufsichts- und Genehmigungsbehörden entlasten werde.
Baumann: „Kommunen und Landkreisen geht es ja wie Ihnen als Unternehmer auch: Sie kommen gar nicht mehr hinterher, alle Gesetze und Verordnungen in ihrer Tiefe zu verstehen und in jedem Einzelfall rechtskonform anzuwenden.“ Dieses Gesetz kehrt deshalb die Beweispflicht um: Geprüft wird nur, wo jemand aktiv eine Untersuchung einfordert.
Der Grünen-Politiker: „Das ist keine Bankrotterklärung, sondern eine Vollzugshilfe.“ Die probiere man befristet aus. Erforderlich dafür sei „die Bereitschaft zur Ungerechtigkeit im Einzelfall.“ Denn aus dieser vermeintlichen Harmonisierung resultiere sämtliche Bürokratie, die auf dem Prinzip der Gleichheit basiert. Es gehe aber auch um Verhältnismäßigkeit, so sein philosophischer Exkurs.
Dazu passte, was Henning Blatt referierte. Der in Umweltrecht promovierte Jurist arbeitet bei Franßen & Nusser in Düsseldorf. Fast schon kabarettistisch legte er den Zuhörern Beispiele aus seiner täglichen Praxis vor, in der sich Bauherren mit Behörden über strittige Punkte einigen müssen. Blatt: „Die Rechtslage ist längst nicht mehr eindeutig und vor allem viel zu kompliziert.“ Auch er verstehe vieles nicht mehr. Zum Abschluss projizierte er anonym das Schreiben einer Behörde in den Saal, die einen Unternehmer aufforderte, selbst zu prüfen, welche seiner Anlagen eventuell von einer EU-Verordnung betroffen sei.
Etliche Praktiker referierten Beispiele, wie sie Bilderkennungsverfahren, KI und Roboter auf ihren Förderbändern einsetzen, um Schüttgut-Materialien zu trennen oder Störstoffe zu extrahieren. Andere Anwendungen zeigten, wie Software Geschäftsprozesse digitalisiert, automatisiert und die Einhaltung von Rechtsvorschriften überprüft und dokumentiert. Eine mobile Wasseraufbereitungsanlage für die Branche beeindruckte das Publikum.
